Urtheile über das Manuseript. 57
Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariser Friedens ein solches
Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die
großen Epochen unserer neuen Geschichte folgen mit unheimlicher Regel-
mäßigkeit Zeiten des Verdrusses, denen der nationale Stolz über dem
kleinen Aerger des Parteistreits fast abhanden kommt, und gerade die
Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben sind, verfallen
dann am sichersten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menschen. Fünf
Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfasser des Manusceriptes
zuversichtlich behaupten „Preußen gehört so wenig als Elsaß zu Deutsch-
land“, und überall in den kleinen Staaten fanden sich schon einzelne
wohlmeinende Patrioten, die ihm zustimmten; ihnen schien es nicht lächer-
lich, wenn er im Namen der Besiegten von Dennewitz und Wartenburg
den Siegern sogar die kriegerische Tüchtigkeit absprach. Börne in Frankfurt
hatte an dem Buche nur das Eine auszusetzen, daß es noch nicht die ganze
Wahrheit sage. Der bairische Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor-
kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvarischen Machtdünkels, ver-
sicherte bald nachher in seinen „Glossen über den Zeitlauf“: Süddeutsch-
land hat den Alliirten gute Dienste geleistet, verdankt ihnen aber rein
nichts; wir bedürfen des Deutschen Bundes nicht; wenn „unser Max“
ruft, dann werden tausende der Helden, die bei Leipzig siegten, den blau-
weißen Fahnen zulaufen!
So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbst Wangenheim
wies die landesverrätherischen Hintergedanken des „Manuscripts“ weit von
sich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinstaaten bedroht schien,
sogar die „immerhin bedenkliche“ Anrufung der auswärtigen Garanten
der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte er
niemals. Sein Bund der Mindermächtigen sollte auf dem Boden der
Bundesakte erwachsen, friedlich, allein durch die moralische Macht der süd-
deutschen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfassungen. In
dieser abgeschwächten Fassung erschienen die Ideen des Manuscripts auch
vielen anderen Liberalen verführerisch. Das sophistische Buch wirkte im
Stillen sehr nachhaltig und nährte unter den süddeutschen Liberalen einen
Dünkel, der um so schädlicher war, weil er sich nicht auf die wirklichen
Vorzüge des oberdeutschen Lebens, auf seine alte Cultur, seine unverwüst-
liche Poesie, seine heiteren, natürlichen, demokratischen Sitten, sondern auf
eine eingebildete politische Ueberlegenheit berief. Aus der trüben Quelle
dieser Schrift entsprang auch die jahrzehntelang unablässig wiederholte
Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften
Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem-
berg wider die reaktionären Großmächte.
Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbundes so unbegreiflich,
daß sich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilassen mochte,
obgleich das Buch in den Berliner literarischen Kreisen mit lebhaftem