Das Darmstädter März-Edikt. 61
ihres Helden Riego angestoßen wurde; und F. v. Spaun meinte: unser
Max braucht nur mit dem Finger zu winken, um die Kammer der
Reichsräthe hinwegzufegen. Wie kümmerlich erschien die Freiheit der Hessen
neben diesen spanischen Herrlichkeiten!
Das ganze Land gerieth in Bewegung. Einige in Stuttgart ge—
druckte anonyme Flugschriften, die von E. E. Hoffmann in Darmstadt
herrührten, unterwarfen das Edikt einer schonungslosen, wohlberechtigten
Kritik, und da die Bauern schon längst über Steuerdruck klagten, so
fiel die Mehrzahl der Wahlen zu Ungunsten der Regierung aus. Die
Rheinhessen wählten gar den französischen General Eickemeyer, denselben,
der einst bei der schmählichen Uebergabe von Mainz mitgewirkt hatte
und darum am Hofe, mit Unrecht, für einen gefährlichen Jacobiner
galt. Die größere Hälfte der Abgeordneten erklärte dem Großherzog
sofort in einer ehrerbietigen, aber sehr nachdrücklichen Eingabe: sie könnten
in dem Edikte die verheißene „umfassende Constitutions-Urkunde“ nicht
erkennen und darum auch keinen Eid darauf leisten. Umsonst hatte Hans
v. Gagern die Grollenden beschworen, nicht also von Haus aus jede Ver-
ständigung abzuweisen. Dem wunderlichen Reichspatrioten erging es wie
vielen anderen Diplomaten der Kleinstaaten: so phantastisch er sich einst
in dem nebelhaften Bereiche der Bundespolitik gezeigt hatte, ebenso be-
sonnen verfuhr er jetzt, da er festen Boden unter seinen Füßen fühlte,
in der praktischen Politik seines Heimathlandes. Von ihm geführt reichten
seine Standesgenossen von der Ritterschaft und die Minderheit der übrigen
Abgeordneten eine Gegenerklärung ein: sie waren unbedenklich zur Leistung
des Eides bereit, aber nur unter der Voraussetzung, daß der Großherzog
ihnen noch andere Gesetze „zur vollständigen Ausbildung der Verfassung“
vorlegen würde.
Die Lage des kleinen Staates begann recht unsicher zu werden. Der
preußische Gesandte Frhr. v. Otterstedt — notre ami ausx mille aftaires
hieß er in der diplomatischen Welt —, ein erklärter Gegner der Liberalen,
der immer aufgeregt und geheimnißvoll zwischen den Höfen von Darm-
stadt und Bieberich hin= und herreiste, schilderte seinem Kabinet „den
wahrhaft teuflischen Geist“ der hessischen Demagogen in den dunkelsten
Farben?); und allerdings nahm die pessimistische Verbitterung bedenklich
überhand. Einzelne der Eidverweigerer hofften insgeheim auf einen Ge-
waltstreich von oben, damit dann der ausbrechende Volksunwille den Hof
zu umfassenden Zugeständnissen zwänge. Auch die mächtigen Mediatisirten,
denen fast ein Viertel des Großherzogthums gehörte, zeigten sich feindselig.
Vergeblich hatte ihnen die Regierung vor Kurzem alle die in der Bundes-
akte verheißenen Rechte, und noch einige mehr, zugestanden, so daß
fortan am Büdinger Schloßthore eine Isenburgische Leibwache prunken
*) Otterstedt's Berichte, 10., 26. Juni, 4. Juli 1820.