Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. 763 
Ich meine, diese beiden Aeußerungen stimmen beinah wörtlich überein, und bei dem 
Wohlwollen, das mir die liberale Presse widmet, muß ich fast befürchten, es werde noch 
einmal ein gesinnungstüchtiger Recensent auftreten und mich des Plagiats an Harden— 
berg beschuldigen. Einen ehrlichen Kritiker wie Herrn v. Lerchenfeld darf ich aber wohl 
fragen: redet er eigentlich im Ernst oder im Scherz, wenn er mir also meine eigenen 
Urtheile mahnend entgegenhält als ob ich sie bestritten hätte? 
Nicht besser steht es um die anderen Vorwürfe, die er in seinem einleitenden Capitel 
auf meine Deutsche Geschichte herabschüttet; trotz der höflichen Form läuft doch Alles 
auf den Satz hinaus: Treitschke ist gut preußisch gesinnt und folglich ungerecht gegen 
alle Nichtpreußen. Wenn Herr v. Lerchenfeld mir vorwirft, ich tadle Jeden, der nicht 
damals schon Preußens deutschen Beruf erkannt habe, so kann ich nur erwidern: von 
Alledem steht in meinem zweiten Bande kein Wort, aus dem einfachen Grunde, weil 
Preußen in jener Zeit an die Beherrschung Deutschlands weder dachte noch denken 
konnte. Das Einzige, was sich damals zur Befestigung unserer politischen Einheit viel- 
leicht erreichen ließ, war eine leidliche Ordnung des Bundesheerwesens. Für diesen 
nationalen Zweck hat Preußen in immer neuen Anläufen seine Kraft eingesetzt, aber 
jeder Versuch scheiterte an dem Widerstande Baierns und der meisten anderen Bundes- 
staaten. Finde ich einen solchen Particularismus unerfreulich, so kann ein so guter 
Patriot wie Herr v. Lerchenfeld dawider doch nichts einzuwenden haben. Desgleichen, 
wenn ich den Kampf der Kleinstaaten wider das preußische Enclavensystem schildere, so 
denke ich nicht daran, die Kleinen darum zu tadeln, weil sie „dem deutschen Berufe“ 
Preußens widerstrebt oder gar die Pläne deutscher Zollpolitik, welche damals dem Ber- 
liner Hofe selber noch unklar waren, nicht durchschaut hätten; ich weise vielmehr nur 
nach, daß sie, verblendet durch Mißtrauen und durch die Ueberschätzung einer unhaltbaren 
Souveränität, ihren eigenen handgreiflichen Vortheil verkannten, indem sie das An- 
erbieten einer Zollgemeinschaft zurückwiesen, die sich seitdem in der Erfahrung eines halben 
Jahrhunderts als gerecht und segensreich bewährt hat. Was in aller Welt läßt sich 
gegen diesen Nachweis vorbringen? Uns Deutschen fehlt noch ein gemeinsames natio- 
nales Urtheil über die entscheidenden Thatsachen unserer neuen Geschichte. Die Ver- 
ständigung darüber ist nicht leicht, und ich fürchte, sie wird nicht gefördert, wenn unsere 
Kritiker sich befugt halten, jedem Historiker, der etwas weiter rechts oder links steht als 
der Recensent, kurzweg die Gerechtigkeit abzusprechen. Was würde mein Kritiker dazu 
sagen, wenn ich ihn mit der gleichen Münze bezahlte und meine Leser von vornherein 
wider ihn aufstachelte durch die naheliegende Bemerkung: „Herr v. Lerchenfeld ist der 
Enkel des bairischen Finanzministers von 1819, folglich sucht er die Münchener Politik 
jener Zeit so viel als möglich zu beschönigen!“ —2 6 
Nichts liegt mir ferner als der Gebrauch solcher Waffen. Ich halte für ganz 
unzweifelhaft, daß Herr v. Lerchenfeld mit seiner Schrift durchaus nichts anderes beab- 
sichtigt als die Feststellung des historischen Thatbestandes, und begrüße es mit Dank, 
daß er uns durch die Mittheilungen aus den Papieren seines Großvaters endlich eine 
werthvolle bairische Quelle erschlossen hat, da die Archive der meisten Mittelstaaten wohl 
noch lange unzugänglich bleiben werden. Ich finde in diesen Papieren, wie sich von 
selbst versteht, Manches, was meine Darstellung ergänzt, aber die Widerlegung, die ich 
nach dem gehäuften Tadel der Einleitung wohl erwarten durfte, suche ich vergeblich. 
Nach sorgfältiger Vergleichung der Lerchenfeld’'schen Schrift kann ich von Allem, was 
ich gesagt, nichts Wesentliches zurücknehmen als eine beiläufige Notiz, die keine principielle 
Bedeutung hat. Eine irrthümliche Nachricht in einem Gesandtschaftsberichte hat mich zu 
der Annahme verführt, daß Kronprinz Ludwig, dessen untadelhafte Verfassungstreue ich 
übrigens mehrfach anerkannt habe, im Herbst 1819 in Italien gewesen sei. Dies ist falsch. 
Die hier abgedruckten Briefe beweisen, daß der Kronprinz nicht nur in Baiern war, 
sondern auch den Karlsbader Beschlüssen eifrig entgegengewirkt hat. Mit Freuden habe 
ich unterdessen diese Briefe, die dem Herzen des Prinzen zur Ehre gereichen, für die dritte
	        
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