Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

70 III. 2. Die letzten Resormen Hardenberg's. 
Hader konnte nicht geheim bleiben; denn da die politischen Parteien noch 
keinen anderen Kampfplatz besaßen, so waren bisher fast alle wichtigen 
Verhandlungen des Staatsraths in gehässig übertreibender Darstellung 
der vornehmen Gesellschaft Berlins bald bekannt geworden, und schon 
mehrmals hatte der König die Mitglieder an die Pflicht amtlicher Ver- 
schwiegenheit erinnern müssen. 
Solche düstere Gerüchte mußten jetzt den gebrechlichen Credit des 
Staates geradezu vernichten. Mit unsäglicher Mühe hielt der Minister 
Klewitz den Kurs der Staatsschuldscheine auf 70—71; im nächsten Februar 
aber wurden mehr als 3 Millionen Thaler Wechsel der Seehandlung 
fällig, auch das Deficit aus den Jahren 1817—19, dessen Dasein Hum- 
boldt und seine Freunde so lange abgeleugnet hatten, lag jetzt klar am 
Tage und sollte sofort gedeckt werden. Man bedurfte der Baarmittel, 
unverzüglich, und was ward aus den Anleiheverhandlungen, welche Rother 
bereits mit einigen Bankhäusern eingeleitet hatte, wenn die so oft ver- 
heißene Regelung des Schuldenwesens nochmals um Monate hinaus- 
geschoben, wenn das ohnehin schwarzsichtige Publikum im Voraus durch 
halbwahre Berichte aus dem Staatsrathe beunruhigt wurde? Die Geld- 
verlegenheit war so dringend, daß der Kanzler auch die unverweilte Ver- 
öffentlichung der Steuergesetze für nöthig hielt. Mochten das Ministerium 
und der Staatsrath nachträglich die Gesetze prüfen und einzelne Ver- 
besserungen vorschlagen, der Staat durfte der neuen Einnahmen keinen 
Monat länger entbehren. „Was würden“, schrieb Hardenberg dem Könige, 
„Höchstdieselben von dem Vorsteher einer großen Stadt sagen, der bei 
einer Feuersbrunst, welche ihr den Untergang droht, wissend, daß die 
Feueranstalten bisher mangelhaft waren, statt sogleich alle Mittel zur 
Rettung anzuwenden, erst eine Deliberation im Magistrat über die Ver- 
besserung jener Anstalten veranlassen wollte?“" 
Die Rechtlichkeit des Königs konnte sich indeß zu einem so eigen- 
mächtigen Vorgehen nicht entschließen. Friedrich Wilhelm befürchtete, daß 
die Verletzung der Formen den unvermeidlichen üblen Eindruck der Steuer- 
gesetze noch verschlimmern würde, er bestand auf der ordnungsmäßigen 
Befragung des Staatsraths und sendete aus Potsdam seinen Witzleben 
hinüber, der schriftlich und mündlich dem ungeduldigen Kanzler ins Ge- 
wissen reden mußte.)) Jetzt gelte es, so ließ sich der Vertraute des 
Königs vernehmen, „die Finanzen eines Staates zu ordnen, der einem 
Schiffe ohne Segel und Masten gleich, das auf den Wellen der bewegten 
Zeit umhertreibt, nur durch die weise Führung eines großen Staats- 
mannes nicht allein erhalten wurde, sondern wie ein Phönix neu erstand." 
Bei einem so umfassenden Unternehmen dürften die Fundamentalgesetze 
des Staates nicht mißachtet werden, und zu diesen zählten die Verord- 
  
*) Albrecht an Hardenberg, 13., 16. Januar 1820.
	        
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