Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Nebenius und der deutsche Zollverein. 777 
Wer hat die Wahrheit gefunden, daß bei der unendlichen Mannigfaltigkeit der 
Interessen nur Einzelverhandlungen zum Ziele führen konnten? Nicht Nebenius, denn er 
wollte Ordnung des Zollwesens von Bundeswegen, sondern die preußische Regierung, 
die unter den schwersten Anfechtungen diesen Grundsatz festhielt. 
Wer hat den einfachen, aber neuen Gedanken zuerst ausgesprochen, daß Verkehrs— 
freiheit nur bei Zollgemeinschaft möglich sei? Nicht Nebenius, sondern vor ihm Maassen; 
denn Preußen bot sogleich nach Erlaß des Zollgesetzes nur jenen Staaten Verkehrsfreiheit 
an, welche in Zollgemeinschaft mit ihm treten wollten. 
Wer hat die Bedeutung der Zollgemeinschaft für unsere politische Zukunft zuerst 
erkannt? Nicht Nebenius, der über Deutschlands Verhältniß zu Oesterreich nie ins Klare 
kam, sondern Motz. 
Was bleibt demnach von Nebenius' Vaterrechten übrig? Nur dies Eine: er hat 
im Jahre 1819, gleich vielen anderen wackeren Patrioten, an die Utopie eines Bundes- 
zollwesens geglaubt, aber diesen im Ganzen verkehrten Plan im Einzelnen mit einigen 
guten Gedanken ausgestattet, welche den preußischen Staatsmännern bereits bekannt 
waren. Soll der Badener deshalb der Vater des Zollvereins heißen, so begeht man 
eine historische Ungerechtigkeit, in erster Linie gegen den Märker König Friedrich Wilhelm, 
den Rheinländer Maassen, den Franken Eichhorn und den Hessen Motz; in zweiter 
Linie gegen die Hessen du Thil und Hofmann, die Baiern König Ludwig, Armansperg 
und Mieg, die Schwaben König Wilhelm und Cotta, die Sachsen Lindenau und 
Zeschau. Dies sind die wirklichen Väter des Zollvereins; Nebenius war nur bei den 
unfruchtbaren süddeutschen Sonderbundsverhandlungen, mit geringem Glücke, thätig und 
griff in die Geschichte des großen Zollvereins erst ein als das Werk schon unter Dach 
war. Man sieht, es handelt sich hier durchaus nicht, wie Roscher andeutet, um eine 
Vertheidigung preußischen Ruhmes, sondern um die Wahrung der Verdienste von 
Männern aus allen deutschen Stämmen und vor Allem um die nüchterne Feststellung des 
historischen Thatbestandes. Was der preußische Staat für den Zollverein gewesen, ist 
ja über allen Streit erhaben; davon beißt keine Maus einen Faden ab. 
Roscher hält für denkbar, wenngleich für unwahrscheinlich, daß sich in Maassen's 
oder Eichhorn's Nachlaß noch ein Zollvereinsplan finden könnte, der älter wäre als 
Nebenius' Denkschrift. Ich gestehe, daß ich eine solche Entdeckung für undenkbar halte. 
Sie würde auch den staatsmännischen Ruf der beiden Männer keineswegs erhöhen. Die 
Ueberlegenheit Eichhorn's und Maassen's, gegenüber den schwärmenden Patrioten draußen 
im Reich, liegt ja gerade darin, daß sie verschmähten mit Unmöglichkeiten zu spielen. 
Sie begnügten sich die Hälfte des nicht-österreichischen Deutschlands zu einem einigen 
Marktgebiete zusammenzufassen und erklärten sich bereit auch andere Staaten in diese 
Gemeinschaft aufzunehmen; mehr konnte ein praktischer Staatsmann schlechterdings nicht 
thun in jenem Augenblick, da ganz Deutschland gegen das preußische Zollgesetz tobte, 
und keiner der Mittelstaaten gewillt oder fähig war seine Verwaltung nach den Anfor- 
derungen des preußischen Zollgesetzes umzugestalten. Wer im Jahre 1819 den Plan eines 
deutschen Zollvereins entwarf, der mußte in Phantasien verfallen, und diesem Schicksale 
ist selbst das Talent eines Nebenius nicht entgangen. Der Badener ging, wie alle 
Wortführer der erregten öffentlichen Meinung von einer tabula rasa aus, während die 
preußischen Staatsmänner ihr bestehendes Zollgesetz erhalten und auf diesem Grunde 
weiter bauen wollten. Zehn Jahre darauf war die Lage geklärt; da war es möglich, 
unmittelbar auf die Handelseinheit des ganzen Deutschlands loszuschreiten, damals ent- 
warf Motz seinen Plan, der in der That Hörner und Zähne hatte. 
Die übertriebene Bewunderung, welche der Denkschrift von 1818 nachträglich zu 
Theil geworden, erklärt sich allein aus dem Umstande, daß Nebenius unter den Staats- 
männern des Zollvereins der einzige Schriftsteller war. Bei dem Mangel an archiva- 
lischen Aufschlüssen sahen sich die Historiker wesentlich auf seine Aussagen angewiesen. 
Nebenius' Schriften über den Zollverein, so hochverdienstlich sie sind, leiden doch an zwei
	        
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