Staatsschulden-Gesetz. 71
nungen über den Staatsrath und das Staatsministerium, welche „bis
etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs“ zu gelten
hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der
Steuergesetze bewirken würde, könne äußersten Falles, wie im Jahre 1808,
durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. „Kein an-
deres Motiv leitet mich" — so betheuerte Witzleben schließlich — „als
meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Besorgniß,
den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes
durch die Verletzung von ihm selbst gegebener Gesetze befleckt zu sehen.“)
Hardenberg ließ sich selbst durch diese herzlichen Mahnungen keines-
wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht
zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwischen eingesehen, daß
die Regelung des Schuldenwesens nur bei unverbrüchlicher Verschwiegen-
heit möglich war, und so einigte man sich denn auf Rother's Vorschlag über
einen Mittelweg. Man beschloß, die Rechte der beiden höchsten Behörden,
so weit es noch anging, zu wahren, also die sämmtlichen Steuergesetze, die
in der That auch sachlich noch einer erneuten Prüfung bedurften, dem
Ministerium und dem Staatsrath zu überweisen, aber die Edikte über die
Staatsschuld sofort zu verkündigen.)
Am 17. Januar 1820 erschien demnach die Verordnung wegen der
Behandlung des Staatsschuldenwesens, welche den Staatsschuldenetat
feststellte und auf immer für geschlossen erklärte. Vier volle Jahre nach
dem Friedensschluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß
der napoleonischen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die
Schuld nicht ganz 54½ Mill. Thlr. betragen; jetzt belief sie sich auf
180,091,720 Thlr. verzinsliche Staatsschulden, dazu noch 11,1 Mill.
unverzinsliches Papiergeld und 25,9 Mill. vom Staate übernommene Pro-
vinzialschulden, insgesammt 217,248,762 Thlr., etwa so viel wie die
Staatseinnahmen von 4¼ Jahren. Den Hauptposten der verzinslichen
Schuld bildeten 119,5 Mill. Staatsschuldscheine. Dies im Jahre 1810
durch Hardenberg eingeführte Papier wurde seit dem 1. Juli 1814 wieder
regelmäßig mit vier von Hundert verzinst, und es lag im Plane, nach
und nach alle Schuldverschreibungen des Staates in Staatsschuldscheine
umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig verschiedene Arten von
Schuldscheinen, wie sie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte —
russische Bons und polnische Reconnaissancen, rückständige Gehaltbons
und Lieferungsscheine, Kalckreuth'sche Danziger Obligationen u. s. w. — in
*) Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge-
schichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus dieser
Denkschrift mit, bezeichnet sie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene
königliche Instruktion.
*“.) Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.z Harden-
berg's Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.