Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

100 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
Bundestags einen Bericht zustande brachte, der sich zu Gunsten der 
klagenden Landstände aussprach. 
Diese Nachricht aus Frankfurt bestärkte die Braunschweiger in dem 
Bewußtsein ihres guten Rechtes, und unwillkürlich regte sich die Frage, 
ob man nicht endlich zur Selbsthilfe schreiten müsse; wer konnte denn 
wissen, wann jemals jenem Berichte ein wirksamer Bundesbeschluß folgen 
würde? Der Herzog schlenderte mittlerweile schon seit Monaten auf den 
Pariser Boulevards umher und verhandelte nebenbei mit dem Hause 
Rothschild über Börsengeschäfte. Als ihn dort der Ausbruch der Juli— 
Revolution überraschte, zeigte sich der Erbe des braunschweigischen Helden- 
geschlechtes als ein elender Feigling; er verlor den Kopf, obwohl ihn die 
Pariser kaum beachteten, und floh unter seltsamen Abenteuern. Unter- 
wegs sah er in Brüssel noch jene Vorstellung der Stummen von Portici, 
welche den belgischen Aufruhr einleitete. Zweimal warnte ihn das Schick- 
sal, doch in diese glatte Stirne grub die ernste Zeit keine Furchen. Mit 
seinem Völkchen daheim dachte der Welfe schon fertig zu werden. Als er 
zurückkam, brachte er einen neuen Günstling mit, den französischen Aben- 
teurer Alloard, und prahlte laut, ihm solle man das Schicksal Karls X. 
nicht bereiten. Eine Handvoll Unterbeamten und Hofhandwerker begrüßte 
den Heimgekehrten mit einem Fackelzuge. Die Bürgerschaft aber sah mit 
Unmut der gemachten Huldigung zu und sendete ihre Vertreter auf das 
Schloß, um die Einberufung des Landtags zu erbitten; Bürgermeister Bode, 
ein derber, freimütiger, ganz von althansischem Bürgerstolze erfüllter 
Mann, führte das Wort und warnte den Fürsten vor der unheildrohenden 
Stimmung des Volkes. Dahin hatte es der Herzog durch die knaben- 
hafte Willkürherrschaft dieser sieben Jahre gebracht, daß er in seinem durch 
und durch welfisch gesinnten Völkchen unter den gebildeten Klassen fast gar 
keine Anhänger mehr besaß; selbst die Offiziere murrten, weil er sie bald 
launisch beleidigte, bald ihnen den Gehalt beschnitt oder erledigte Stellen 
unbesetzt ließ. 
Die Masse des Volkes nahm an dem Verfassungskampfe der Land- 
stände geringen Anteil; doch sie wußte genug von dem wüsten Treiben 
im Schlosse, um den Herzog zu hassen, sie litt unter dem Drucke der 
Binnenmauten, sie klagte, daß kein Fremder mehr den verrufenen Hof 
besuchte, daß der geizige Fürst die öffentlichen Bauten einstellen ließ 
und also die Not noch steigerte, die nach einer schlechten Ernte, einem 
harten Winter überall in Deutschland empfunden wurde. Karl ahnte 
das nahende Unwetter und ließ in seiner Angst Kanonen vor dem Schlosse 
auffahren, Pulvervorräte in die nahe Agidienkirche schaffen. Während 
er am Abend des 6. Septembers im Theater weilte, sammelten sich einige 
Volkshaufen um die beiden Wagen, die ihn und seine Dirne, eine be- 
kannte Schauspielerin, zur Heimfahrt erwarteten; sobald er aus dem 
Schauspielhause heraustrat, begrüßte ihn wüstes Geschrei, ein Hagel von
	        
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