Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Rückkehr und Flucht der Gräfin Reichenbach. 137 
schaft, ein konstitutionelles Ministerium berufen, dessen Leitung Freiherr 
Schenk von Schweinsberg übernahm, und den Vertrauten der Reichenbach, 
Meysenbug, mit dem unpolitischen Amte des Hausministers abfinden. 
Wieviel noch an einem gesicherten Rechtszustande fehlte, das fühlte man 
jetzt erst, als im Landtage die unendliche Reihe der organischen Gesetze 
aufgezählt wurde, die noch nötig waren, um alle die reichen Versprechungen 
des Staatsgrundgesetzes zu erfüllen. 
Die Verfassung selbst wurde schon im Februar in Frankfurt einge— 
reicht, damit der Bundestag die Bürgschaft dafür übernähme. Die Bun— 
desversammlung aber tat, wie in allen schwierigen Fällen, gar nichts. 
Metternich verlangte kurzweg die Abweisung des Gesuchs, und als Preußen, 
von mehreren Mittelstaaten unterstützt, widersprach, ließ er in einer Denk- 
schrift alle die Sätze der Verfassung zusammenstellen, welche dem „monar- 
chischen Prinzip“ zuwiderlaufen sollten. Ganz im Sinne der Hofburg 
verfaßte auch der Berichterstatter Blittersdorff sein Gutachten. Einen so 
rechtswidrigen Übergriff des Bundestages konnte jedoch der Großherzog 
von Baden als konstitutioneller Fürst unmöglich gutheißen; seine Regie- 
rung sprach sich nachdrücklich gegen die Meinung des eigenen Gesandten 
aus, und nachdem man noch eine Weile vertraulich gestritten hatte, wurde 
schließlich, nach dritthalb Jahren, im Oktober 1833 dem Kasseler Hofe 
unter der Hand mitgeteilt, daß der Bundestag in dieser Sache keinen 
Beschluß fassen könne. Durch diese lächerliche Entscheidung waren Sster- 
reichs Anschläge vorläufig vereitelt; die kurhessische Verfassung bestand in 
anerkannter Wirksamkeit, der Bundestag hatte sie ohne Widerspruch ent- 
gegengenommen, mithin durfte sie, nach der Wiener Schlußakte und dem 
braunschweigischen Präzedenzfalle, nicht mehr einseitig abgeändert werden. 
Unterdessen bemerkten die Kasseler bald, daß der Landesvater etwas 
im Schilde führte. Auf Wilhelmshöhe wurde unaufhörlich gepackt; Silber- 
zeug und Kostbarkeiten, selbst Türschlösser, Osen und Parkettböden ver- 
schwanden in großen Frachtwagen, die nach Frankfurt zu der Reichenbach ab- 
gingen; zugleich ließ das Hofmarschallamt eine Menge kurfürstlicher Pferde 
versteigern.)) Und wieder rotteten sich die Krawaller zusammen, um die 
Abfahrt der Wagen zu verhindern. Der Kurfürst selbst war in der Stadt 
vor beleidigenden Zurufen nicht sicher; seine Gemahlin aber erschien auf 
den Bürgerbällen, wie die anderen Damen in die weißblauen Stadtfarben 
gekleidet, und empfing die ehrfurchtsvollen Huldigungen der Herren, die 
allesamt die „Konstitutionsschleife“ im Knopfloch trugen. Sobald der 
Landtag geschlossen war, am 10. März, verschwand der Kurfürst mit 
seinem Meysenbug aus Wilhelmshöhe und fuhr nach seinen Schlössern 
im Hanauer Lande, wo er mit seiner Geliebten zusammentraf. Die radi- 
kalen Hanauer wußten sich vor Freuden kaum zu lassen, als der Landes- 
  
*) Hänleins Bericht, 19. Febr. 1831.
	        
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