152 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Berechtigten durch verzinsliche Inhaberpapiere entschädigte und damit den
Pflichtigen die Ablösung erleichterte. Nach mehrjährigen Verhandlungen
trat endlich auch die Markgrafschaft Oberlausitz in die Verwaltungsord-
nung der Erblande ein.
Der neue Landtag zeigte anfangs eine fast kindliche Bescheidenheit,
obwohl Tiedge herausfordernd sang: „wir haben Männer wie unsern
Eisenstuck;“ der abstrakte Liberalismus der Rotteck-Welckerschen Schule
fand hier vorderhand noch gar keine Vertreter. An gesundem praktischem
Verstande aber war kein Mangel; einzelne Redner, wie der ehrenfeste
Aristokrat Albert von Carlowitz und der Leipziger Bürgermeister Deutrich
wagten auch schon über die grünweißen Grenzpfähle hinauszuschauen.
Großes Aufsehen erregte an den Höfen die parlamentarische Tätigkeit
des Prinzen Johann, der allein unter allen Prinzen der deutschen regie—
renden Häuser seinen Platz in der ersten Kammer regelmäßig einnahm
und durch seine etwas trocken juristischen, aber stets sachkundigen und ver—
ständigen Arbeiten diese schwierige Stellung würdig zu behaupten wußte.
Wer durfte es Karl Böttiger dem Unaufhaltsamen verargen, daß er den
gelehrten Prinzen in wohlgedrechselten griechischen Distichen als den a#-
vos Tacooplag verherrlichte? Seit das starre alte System gebrochen
war und der Zollverein dem gewerbfleißigen Lande seinen natürlichen
Markt eröffnete, erwachte überall ein frischeres Leben. Die Volkswirt-
schaft blühte auf, das Schulwesen ward mit Einsicht verbessert, die Leip-
ziger Kramerinnung gründete ihre große Handelslehranstalt; fast in jedem
Städtchen sorgte ein tätiger Mann, wie der wackere Pastor Böhmert
in Roßwein, für Sonntagsschulen, Sparkassen, Gewerbevereine. Auch
der Kunstsinn ward reger, seit der neue Kunstverein seine Ausstellungen
hielt; in die ganz verzopfte Dresdener Akademie trat der junge Ludwig
Richter ein und wagte zuerst wieder, seine Schüler zum Landschaftszeichnen
in die freie Luft hinaus zu führen. Der gesamten deutschen Baukunst
aber erwies Friedrich August einen folgenreichen Dienst, als er den frucht-
barsten und gedankenreichsten der jüngeren Baumeister, den Holsten Gott-
fried Semper nach Dresden berief, um das neue Theater mitten hinein
zu stellen zwischen die flimmernde Pracht des Zwingers und der Hofkirche;
in solcher Umgebung entstanden wie von selbst die Entwürfe zu jenen
reichen römischen Renaissancebauten, welche, minder überladen als die Werke
des Barockstils, dem malerisch gestimmten modernen Auge doch wärmer,
vertrauter, zweckmäßiger erschienen als Schinkels hellenische Tempel.
Gleichwohl sammelte sich während dieser glücklichen Zeit in der Stille
viel Groll an. Die lang anhaltende gemütliche Unordnung des Revo-
lutionsjahres hatte die niederen Stände, zumal in der Hauptstadt, an
einen rohen radikalen Ton gewöhnt. Niemand wollte eingestehen, daß
die Regierung sehr hoch über ihrem Volke stand, daß erst Lindenau und
seine Freunde der völlig unklaren Bewegung einen politischen Inhalt gegeben