Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

160 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
Glauben, daß man die Politik von der Moral nicht scheiden könne: „Wenn 
ich hierin mich irrte, ich würde keine Stunde mehr mit der Politik mich 
beschäftigen.“ Ihm war kein Zweifel, daß man der Erhaltung den Vorzug 
geben müsse vor der Verbesserung, weil Erhaltung zugleich Bedingung 
der Verbesserung sei. 
Das Zünglein in der Wage war Stüve, der durch seine Sachkenntnis, 
seinen praktischen Verstand, seine herrische, aber auch rechtzeitig vermit- 
telnde Haltung die Verhandlungen immer wieder auf nahe, erreichbare 
Ziele zu lenken wußte. Rehberg nannte ihn „die Seele der Reform, die 
Hoffnung meines zur Arbeit unfähigen Alters“; Wallmoden schloß sich 
ihm als treuer Helfer an, versöhnend und beschwichtigend, so oft der ge- 
strenge kleine Osnabrücker durch seine Schärfe verletzte. Durch eine Schrift 
„über die gegenwärtige Lage Hannovers“ hatte Stüve soeben abermals 
bewiesen, wie richtig er die Mächte des Beharrens in seinem Lande zu 
schätzen wußte. Eine Verfassung war ihm nur wertvoll, „wenn ihre 
Grundsätze durch die Verwaltung lebendig werden“. Über die „Kanne- 
gießerei“ der süddeutschen Liberalen urteilte er sehr abschätzig: sie verstehen 
nur auf Rußland zu schimpfen, die Polen zu verherrlichen und nach 
Preßfreiheit zu schreien.') Das neue Staatsgrundgesetz, so sagte er oft, 
sollte nicht einer theoretischen Schablone entsprechen, sondern die im täg- 
lichen Leben fühlbaren Mißstände beseitigen, und unter diesen stellte er 
das alte System der Kassentrennung obenan. Die Regierung gab nur 
dem allgemeinen Wunsche des Landes nach, als sie dem Landtage vorschlug, 
daß die königliche Domänenkasse mit der ständischen Generalsteuerkasse ver- 
einigt werden, der König aber zur Bestreitung der Kosten seines Hofhalts 
sich eine Anzahl Domänen als Krondotation auswählen solle. 
Damit ward die Einheit des Staatshaushaltes hergestellt und das 
ständische Schatzkollegium aufgehoben, das bisher die Steuerkasse ver- 
waltet und in endlosen Händeln beständig versucht hatte, der Königlichen 
Kasse die volle Hälfte der Staatsausgaben aufzubürden. Dem Monarchen 
brachte die Kassenvereinigung nur Vorteil; sie überhob ihn des unwür- 
digen Streites mit den Schatzräten und erhöhte sein freies Einkommen 
auf mehr als das Doppelte. Gleichwohl entschloß sich der König nur 
schwer, in die unabweisbare Reform zu willigen, denn er kannte seine 
deutschen Stammlande kaum und beurteilte sie nach dem englischen 
Maßstabe. Gerade in England, wo doch Begriff und Name der Zivil- 
liste entstanden waren, hatte die Krone stets aus der Zivilliste einen 
Teil der Staatsverwaltungskosten bestritten, und erst ganz neuerdings, 
1831, war es dem Kabinett Grey nach schweren Kämpfen gelungen, Hof- 
ausgaben und Staatsausgaben scharf zu sondern. Die Tories aber 
  
*) Ich benutze hier u. a. eine handschriftliche Biographie Stüves von dessen 
Neffen, Hrn. Regierungspräsidenten Stüve in Osnabrück.
	        
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