160 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Glauben, daß man die Politik von der Moral nicht scheiden könne: „Wenn
ich hierin mich irrte, ich würde keine Stunde mehr mit der Politik mich
beschäftigen.“ Ihm war kein Zweifel, daß man der Erhaltung den Vorzug
geben müsse vor der Verbesserung, weil Erhaltung zugleich Bedingung
der Verbesserung sei.
Das Zünglein in der Wage war Stüve, der durch seine Sachkenntnis,
seinen praktischen Verstand, seine herrische, aber auch rechtzeitig vermit-
telnde Haltung die Verhandlungen immer wieder auf nahe, erreichbare
Ziele zu lenken wußte. Rehberg nannte ihn „die Seele der Reform, die
Hoffnung meines zur Arbeit unfähigen Alters“; Wallmoden schloß sich
ihm als treuer Helfer an, versöhnend und beschwichtigend, so oft der ge-
strenge kleine Osnabrücker durch seine Schärfe verletzte. Durch eine Schrift
„über die gegenwärtige Lage Hannovers“ hatte Stüve soeben abermals
bewiesen, wie richtig er die Mächte des Beharrens in seinem Lande zu
schätzen wußte. Eine Verfassung war ihm nur wertvoll, „wenn ihre
Grundsätze durch die Verwaltung lebendig werden“. Über die „Kanne-
gießerei“ der süddeutschen Liberalen urteilte er sehr abschätzig: sie verstehen
nur auf Rußland zu schimpfen, die Polen zu verherrlichen und nach
Preßfreiheit zu schreien.') Das neue Staatsgrundgesetz, so sagte er oft,
sollte nicht einer theoretischen Schablone entsprechen, sondern die im täg-
lichen Leben fühlbaren Mißstände beseitigen, und unter diesen stellte er
das alte System der Kassentrennung obenan. Die Regierung gab nur
dem allgemeinen Wunsche des Landes nach, als sie dem Landtage vorschlug,
daß die königliche Domänenkasse mit der ständischen Generalsteuerkasse ver-
einigt werden, der König aber zur Bestreitung der Kosten seines Hofhalts
sich eine Anzahl Domänen als Krondotation auswählen solle.
Damit ward die Einheit des Staatshaushaltes hergestellt und das
ständische Schatzkollegium aufgehoben, das bisher die Steuerkasse ver-
waltet und in endlosen Händeln beständig versucht hatte, der Königlichen
Kasse die volle Hälfte der Staatsausgaben aufzubürden. Dem Monarchen
brachte die Kassenvereinigung nur Vorteil; sie überhob ihn des unwür-
digen Streites mit den Schatzräten und erhöhte sein freies Einkommen
auf mehr als das Doppelte. Gleichwohl entschloß sich der König nur
schwer, in die unabweisbare Reform zu willigen, denn er kannte seine
deutschen Stammlande kaum und beurteilte sie nach dem englischen
Maßstabe. Gerade in England, wo doch Begriff und Name der Zivil-
liste entstanden waren, hatte die Krone stets aus der Zivilliste einen
Teil der Staatsverwaltungskosten bestritten, und erst ganz neuerdings,
1831, war es dem Kabinett Grey nach schweren Kämpfen gelungen, Hof-
ausgaben und Staatsausgaben scharf zu sondern. Die Tories aber
*) Ich benutze hier u. a. eine handschriftliche Biographie Stüves von dessen
Neffen, Hrn. Regierungspräsidenten Stüve in Osnabrück.