Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Preußische Königstreue. 185 
an, wie überlegen dieses Volk mit seiner Zucht und Treue inmitten der auf- 
geregten Nachbarn stand. Selbst der Holste Rist, der sonst nach Landesbrauch 
auf Preußen tief herabgesehen hatte, pries jetzt, da er die westlichen Pro- 
vinzen durchreiste, die glückliche Ordnung des wohlregierten Staates. Noch 
zuversichtlicher schrieb der junge Hauptmann Helmuth von Moltke in seinem 
geistreichen Buche über Polen: Der preußische Staat zeichnet sich aus 
durch sein unaufhaltsames ruhiges Fortschreiten, durch die stetige Ent- 
wicklung seiner inneren Verhältnisse, „welche Preußen an die Spitze der 
Reformen, der Aufklärung, der liberalen Institutionen und einer vernünf- 
tigen Freiheit — mindestens in Deutschland gestellt haben.“ 
Wieder wie in den Zeiten der ersten Revolution fühlten sich die 
Preußen stolz als Mannen ihres Königs, und begrüßten den alten Herrn, 
wo er sich zeigte, mit stürmischen Huldigungen. Und wie damals zur Ant- 
wort auf den Marseiller Marsch das Heil dir im Siegerkranz erklungen 
war, so machte jetzt das neue Preußenlied, gedichtet von Rektor Thiersch, 
dem Bruder des Münchener Philologen, und von Neithardt in Musik 
gesetzt, die Runde auf allen vaterländischen Festen. Mochten die Libe- 
ralen des Südens über den preußischen Hochmut schelten, sie fühlten 
doch mit stillem Neide, daß diese stolzen Klänge ganz etwas anderes be- 
deuteten als alle jene läppischen Farbenlieder auf das Weiß der Un- 
schuld und das Grün der guten Hoffnung, welche die kleinen Hofpoeten 
zum Preise ihrer geschichtslosen Landeskokarden anfertigten; sie ahnten die 
Wahrheit der Verse: „daß für die Freiheit meine Väter starben, das 
deuten, merkt es, meine Farben an.“ Die Erinnerungsfeiern der alten 
Landwehrmänner und Kriegskameraden verliefen meist anspruchslos und 
ohne Wortprunk, nur in Berlin pflegte Fouqué schmetternde Husaren- 
reden zu halten; aber sie hielten unter den Versammelten das Gefühl 
der Staatseinheit wach. Als dem Prinzen Wilhelm 1831 am siegver- 
heißenden Jahrestage der Leipziger Schlacht ein Sohn geboren wurde, der 
vermutliche Thronfolger, da erklang in allen Provinzen ein Freudenruf, 
der offenbar aus den Tiefen der Herzen kam. Und da man sich so stolz 
und sicher fühlte, so gewann auch der Traum der deutschen Einheit in 
einzelnen Kreisen der preußischen Jugend schon eine festere Gestalt. Die 
Bonner Burschenschafter schwärmten für das preußische Kaisertum, und 
es war ein Sohn des linken Rheinufers, der diesen Gedanken zuerst im 
Liede aussprach. Karl Simrock hatte soeben die Angstlichkeit der Regie- 
rung am eigenen Leibe erfahren — denn die alte Furcht vor den Demagogen 
war noch immer nicht verschwunden, und das Justizministerium hielt für 
nötig, seinen Beamten alle absprechenden politischen Urteile an öffent- 
lichen Orten zu untersagen; er hatte den Staatsdienst verlassen müssen 
wegen eines Gedichtes auf Frankreichs drei Tage und drei Farben, das 
ihm in der ersten Aufregung der Juliwochen entstanden war. Doch die 
Unbill focht den Treuen nicht an. Gleich darauf schilderte er in einem
	        
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