Hansemanns Denkschrift über die Verfassung. 187
ständen gar nicht die Rede. Selbst die Altpreußen hielten sich still, ob—
gleich ihr ständischer Ausschuß schon vorm Jahre erklärt hatte, Preußen
bedürfe einer reichsständischen Verfassung, da die Nachbarstaaten durch
ihre Institutionen allmählich ein Übergewicht gewännen?); der Landtag
wagte nur in aller Ehrfurcht um die Offentlichkeit der provinzialständischen
Verhandlungen zu bitten.
Auch in den zahlreichen Flugschriften der Preußen wurde das Ver-
langen nach einer Verfassung nirgends laut; kaum daß einmal ein stiller
Gelehrter, wie der Schlesier Thilo in seiner Schrift „was ist Verfassung“
den theoretischen Beweis führte: der Fürst vertrete den Staat doch nur
nach außen, folglich müsse das Volk im inneren Staatsleben seine eigene
Vertretung erhalten. Nur ein Mann wagte in diesen Jahren den König
unumwunden an die alte Verheißung zu erinnern: der rheinische Kauf-
herr David Hansemann, ein evangelischer Predigerssohn aus dem Ham-
burgischen, der in jungen Jahren die französische Verwaltung gründlich
kennen und leider auch überschätzen gelernt, dann in Aachen die große
Feuerversicherungsgesellschaft gegründet und durch seine glänzende ge-
schäftliche Begabung in der strengkatholischen Stadt ein unbestrittenes An-
sehen errungen hatte. In einer „Denkschrift über Preußens Lage und
Politik“, die er im Dez. 1830 dem König einsendete, sprach er durchaus
als treuer preußischer Patriot; er erkannte dankbar an, wie stark sein
Staat in dem zerfahrenen Treiben der deutschen Kleinstaaterei dastehe,
und hoffte die Zeit noch zu erleben, da die undeutschen Länder dereinst
aus dem Bunde ausscheiden, Preußen aber die Führung eines Bundes-
rats und eines deutschen Reichstags übernehmen würde. Doch mit der
ganzen Rücksichtslosigkeit, welche alle neuen sozialen Mächte auszeichnet,
vertrat er zugleich die Interessen seines jungen rheinischen Bürgertums.
Ihm war unzweifelhaft, daß „die bei dem lebendigsten und mitteilendsten
Volke Europas herrschenden Prinzipien“ sich überall in der Welt ver-
breiten müßten, daß jede vernünftige Regierung sich auf die Mehrheit des
Vermögens und der Bildung — gleichviel woher diese stammten — zu
stützen habe, und Preußen jetzt im Begriff stehe, aus der Feudalzeit durch
den Beamtenstaat zu dieser Mehrheitsherrschaft überzugehen. Die stän-
dische Gliederung der Provinziallandtage verwarf er gänzlich, weil jeder
Abgeordnete von Köln oder Aachen hundertundzwanzigmal mehr Köpfe,
vierunddreißigmal mehr Steuerkraft vertrete als ein Mitglied der rhei-
nischen Ritterschaft. Er glaubte zu wissen, daß die Städte durch Kennt-
nisse und politische Bildung weit mehr bedeuteten als das flache Land,
daß der Thron an den großen Kaufleuten und Fabrikanten, die bei Krieg
oder bürgerlichen Unruhen alles zu verlieren hätten, mindestens eine
*) Protokoll des ständischen Ausschusses (v. Kuhnheim, v. Hake, Graf Dohna-
Reichertswalde), Königsberg 23. Jan. 1829.