Rankes Zeitschrift. 205
gabe des Publizisten ist, auch auf den Willen der Leser wirken. Die
kecke, dem Politiker unentbehrliche Lust am Kampfe blieb ihm fremd, der
wie Leibniz „den wenig liebenswürdigen Namen der Eris“ verabscheute,
und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte sich
der Friedfertige nie entschließen. Was sollte die begeisterte, von einem
mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große
Historiker die Segnungen der elenden Bundesverfassung also anpries: der
Bund fördere den Wehrstand durch seine Kriegsverfassung, deren Erbärm—
lichkeit doch so klar vor Augen lag, daß Preußen sie für den nächsten Krieg
kurzweg außer Kraft setzen wollte; er fördere den Nährstand durch den
Zollverein, der aber nicht durch den Bund, sondern im Kampfe mit ihm
durch Sonderbünde entstand; er fördere endlich sogar den Lehrstand durch
das Karlsbader Preßgesetz! Also gehalten, vermochte die Zeitschrift niemals
wie das Wochenblatt politische Macht zu erringen; weder die Aristokraten,
wie man damals die Ständischgesinnten nannte, noch die Liberalen konnten
ihr ganz zustimmen, und da bedeutende Männer immer selbst zuerst fühlen,
was ihrer Natur zusagt, so zog sich Ranke schon nach vier Jahren wieder
in seine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein seltsames Schauspiel: zwei
große hochgebildete konservative Zeitschriften in diesem Preußen, das noch
keine einzige nennenswerte liberale Zeitung besaß; beide Blätter redeten
beständig über die schwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutschen
und den Franzosen. —
Indes begannen die vereinzelten Liberalen Preußens sich doch all—
mählich zu sammeln, zunächst infolge der polnischen Wirren. Nichts
konnte offener sein als Preußens Politik während dieser verwickelten Hän-
del. Von vornherein erklärte Bernstorff dem russischen Gesandten, daß
die Interessen der beiden Höfe hier vollkommen übereinstimmten, und
auf das bestimmteste versicherte der König seinem Schwiegersohne: wenn
die Polen versuchen sollten, sich durch preußisches Gebiet durchzuschlagen,
so werden sie „den gebührenden Empfang finden“.) Jeder Brief der
Rebellenführer an den König wurde grundsätzlich zurückgewiesen, desgleichen
jeder Versuch der Vermittlung, auch wenn er von Männern ausging, die
dem Monarchen persönlich nahestanden, wie der Erbmarschall von Schlesien
Graf Maltzan oder der berühmte Augenarzt Gräfe.“) Dies hinderte nicht,
daß man aus Menschlichkeit preußische Arzte sowohl nach Warschau wie
in das russische Hauptquartier sendete. Ohne alle Hintergedanken erhoffte
man in Berlin nichts weiter als die rasche Beendigung des Aufruhrs.
Gneisenau sprach nur die allgemeine Meinung der Regierungskreise aus,
als er sagte: der preußische Staat müsse zwar um seiner Selbsterhaltung
*) Bernstorff an Alopeus, 24. Dezember 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko-
laus, April 1831.
*“ ) Bernstorffs Bericht an den König, 28. Juni; Bernstorff an Graf Maltzahn,
12. März; Kabinettsordre an G.-Stabsarzt von Gräfe, 24. März 1831.