Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Rankes Zeitschrift. 205 
gabe des Publizisten ist, auch auf den Willen der Leser wirken. Die 
kecke, dem Politiker unentbehrliche Lust am Kampfe blieb ihm fremd, der 
wie Leibniz „den wenig liebenswürdigen Namen der Eris“ verabscheute, 
und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte sich 
der Friedfertige nie entschließen. Was sollte die begeisterte, von einem 
mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große 
Historiker die Segnungen der elenden Bundesverfassung also anpries: der 
Bund fördere den Wehrstand durch seine Kriegsverfassung, deren Erbärm— 
lichkeit doch so klar vor Augen lag, daß Preußen sie für den nächsten Krieg 
kurzweg außer Kraft setzen wollte; er fördere den Nährstand durch den 
Zollverein, der aber nicht durch den Bund, sondern im Kampfe mit ihm 
durch Sonderbünde entstand; er fördere endlich sogar den Lehrstand durch 
das Karlsbader Preßgesetz! Also gehalten, vermochte die Zeitschrift niemals 
wie das Wochenblatt politische Macht zu erringen; weder die Aristokraten, 
wie man damals die Ständischgesinnten nannte, noch die Liberalen konnten 
ihr ganz zustimmen, und da bedeutende Männer immer selbst zuerst fühlen, 
was ihrer Natur zusagt, so zog sich Ranke schon nach vier Jahren wieder 
in seine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein seltsames Schauspiel: zwei 
große hochgebildete konservative Zeitschriften in diesem Preußen, das noch 
keine einzige nennenswerte liberale Zeitung besaß; beide Blätter redeten 
beständig über die schwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutschen 
und den Franzosen. — 
Indes begannen die vereinzelten Liberalen Preußens sich doch all— 
mählich zu sammeln, zunächst infolge der polnischen Wirren. Nichts 
konnte offener sein als Preußens Politik während dieser verwickelten Hän- 
del. Von vornherein erklärte Bernstorff dem russischen Gesandten, daß 
die Interessen der beiden Höfe hier vollkommen übereinstimmten, und 
auf das bestimmteste versicherte der König seinem Schwiegersohne: wenn 
die Polen versuchen sollten, sich durch preußisches Gebiet durchzuschlagen, 
so werden sie „den gebührenden Empfang finden“.) Jeder Brief der 
Rebellenführer an den König wurde grundsätzlich zurückgewiesen, desgleichen 
jeder Versuch der Vermittlung, auch wenn er von Männern ausging, die 
dem Monarchen persönlich nahestanden, wie der Erbmarschall von Schlesien 
Graf Maltzan oder der berühmte Augenarzt Gräfe.“) Dies hinderte nicht, 
daß man aus Menschlichkeit preußische Arzte sowohl nach Warschau wie 
in das russische Hauptquartier sendete. Ohne alle Hintergedanken erhoffte 
man in Berlin nichts weiter als die rasche Beendigung des Aufruhrs. 
Gneisenau sprach nur die allgemeine Meinung der Regierungskreise aus, 
als er sagte: der preußische Staat müsse zwar um seiner Selbsterhaltung 
*) Bernstorff an Alopeus, 24. Dezember 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko- 
laus, April 1831. 
*“ ) Bernstorffs Bericht an den König, 28. Juni; Bernstorff an Graf Maltzahn, 
12. März; Kabinettsordre an G.-Stabsarzt von Gräfe, 24. März 1831. 
 
	        
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