Prozeß Wirth. 309
Mit dem Frankfurter Attentate ging die liberale Bewegung vorläufig
zu Ende. Nur da und dort züngelten noch einzelne Flammen aus dem
verlöschenden Brande auf. Die Pfälzer ließen sich's nicht nehmen, den
ersten Jahrestag ihres Hambacher Festes durch eine neue Volksversammlung
auf der Kästenburg zu feiern. Das Fest wurde verboten, Truppen rückten
an, und die durch wiederholte Neckereien längst erbitterten Soldaten ver-
fuhren mit entsetzlicher Roheit, verwundeten und mißhandelten eine Menge
harmloser Leute. Die Aufregung im Volke steigerte sich noch, als bald
nachher, seit Ende Juli 1833, fast drei Wochen lang Wirth, Siebenpfeiffer
und ihre Hambacher Genossen vor den Landauer Geschworenen standen.
Die meisten der Angeklagten bekannten sich unumwunden zu dem radikalen
Grundsatze der allgemeinen Gleichheit. Wirth erklärte freimütig, daß er die
eine und unteilbare deutsche Republik erstrebe, freilich ohne Blutvergießen,
allein durch „die innere Aufrichtung des Volkes“. Diese republikanische Ver-
fassung sei nichts anderes als das alte, allein rechtmäßige deutsche Kaiser-
tum; „der ganze Unterschied besteht nur darin, daß ich dem gemein-
schaftlichen Reichsoberhaupt der Deutschen den Titel: Präsident beigelegt
wissen will, während ihn die deutsche Konstitution Kaiser nennt.“ Er sprach
jedoch mit solchem Feuer ehrlicher vaterländischer Begeisterung und wußte die
rührsamen Schlagworte aus Jean Paul, „dem ersten Dichter aller Völker und
Jahrtausende“, so geschickt einzuflechten, daß Geschworene, Verteidiger, Zu-
schauer diesem „politischen Luther“ ihre Bewunderung lärmend kundgaben.
Sämtliche Angeklagte wurden freigesprochen, obgleich der aufrührerische
Sinn der Hambacher Reden klar zu Tage lag; einige der Freigesprochenen
mußten aber noch nachträglich dem Zuchtpolizeigericht wegen Beleidigung
der Beamten Rede stehen und erlitten Gefängnisstrafen. Die Pfalz be-
ruhigte sich scheinbar, der stille Groll gegen die Altbayern blieb freilich
unversöhnt. Auch im rechtsrheinischen Bayern und in Württemberg wurde
durch zahlreiche Verhaftungen wiederhergestellt, was man am Bundestage
Ordnung nannte.
Nur im Großherzogtum Hessen fand die revolutionäre Bewegung
noch ein verspätetes Nachspiel. Als der Landtag im Herbst 1832 neu
gewählt wurde, zeigte das Land wenig Teilnahme, und da ein Teil der
jüngeren Beamten nach süddeutschem Brauche die Opposition offen unter-
stützte, so erlangten die Liberalen durch ihre Rührigkeit eine starke Mehrheit.
Als ob sie fühlte, daß sie das Land nicht hinter sich hatte, stürmte die
neue Kammer mit fieberischer Hast vorwärts. Zehn Monate blieb sie
versammelt, ohne ihre eigentliche Aufgabe, die Bewilligung des Budgets
auch nur ernstlich anzugreifen. Dafür erging sie sich in donnernden Reden
gegen die Sechs Artikel des Bundestages und heftigen Anklagen gegen
die Regierung; sie sprach von einem neuen Wahlgesetze, von jährlichen
Landtagen, von Beseitigung der Zensur, von Einführung des Code Napoleon
auf dem rechten Rheinufer — und das alles in einer Zeit, da die Liberalen