Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Prozeß Wirth. 309 
Mit dem Frankfurter Attentate ging die liberale Bewegung vorläufig 
zu Ende. Nur da und dort züngelten noch einzelne Flammen aus dem 
verlöschenden Brande auf. Die Pfälzer ließen sich's nicht nehmen, den 
ersten Jahrestag ihres Hambacher Festes durch eine neue Volksversammlung 
auf der Kästenburg zu feiern. Das Fest wurde verboten, Truppen rückten 
an, und die durch wiederholte Neckereien längst erbitterten Soldaten ver- 
fuhren mit entsetzlicher Roheit, verwundeten und mißhandelten eine Menge 
harmloser Leute. Die Aufregung im Volke steigerte sich noch, als bald 
nachher, seit Ende Juli 1833, fast drei Wochen lang Wirth, Siebenpfeiffer 
und ihre Hambacher Genossen vor den Landauer Geschworenen standen. 
Die meisten der Angeklagten bekannten sich unumwunden zu dem radikalen 
Grundsatze der allgemeinen Gleichheit. Wirth erklärte freimütig, daß er die 
eine und unteilbare deutsche Republik erstrebe, freilich ohne Blutvergießen, 
allein durch „die innere Aufrichtung des Volkes“. Diese republikanische Ver- 
fassung sei nichts anderes als das alte, allein rechtmäßige deutsche Kaiser- 
tum; „der ganze Unterschied besteht nur darin, daß ich dem gemein- 
schaftlichen Reichsoberhaupt der Deutschen den Titel: Präsident beigelegt 
wissen will, während ihn die deutsche Konstitution Kaiser nennt.“ Er sprach 
jedoch mit solchem Feuer ehrlicher vaterländischer Begeisterung und wußte die 
rührsamen Schlagworte aus Jean Paul, „dem ersten Dichter aller Völker und 
Jahrtausende“, so geschickt einzuflechten, daß Geschworene, Verteidiger, Zu- 
schauer diesem „politischen Luther“ ihre Bewunderung lärmend kundgaben. 
Sämtliche Angeklagte wurden freigesprochen, obgleich der aufrührerische 
Sinn der Hambacher Reden klar zu Tage lag; einige der Freigesprochenen 
mußten aber noch nachträglich dem Zuchtpolizeigericht wegen Beleidigung 
der Beamten Rede stehen und erlitten Gefängnisstrafen. Die Pfalz be- 
ruhigte sich scheinbar, der stille Groll gegen die Altbayern blieb freilich 
unversöhnt. Auch im rechtsrheinischen Bayern und in Württemberg wurde 
durch zahlreiche Verhaftungen wiederhergestellt, was man am Bundestage 
Ordnung nannte. 
Nur im Großherzogtum Hessen fand die revolutionäre Bewegung 
noch ein verspätetes Nachspiel. Als der Landtag im Herbst 1832 neu 
gewählt wurde, zeigte das Land wenig Teilnahme, und da ein Teil der 
jüngeren Beamten nach süddeutschem Brauche die Opposition offen unter- 
stützte, so erlangten die Liberalen durch ihre Rührigkeit eine starke Mehrheit. 
Als ob sie fühlte, daß sie das Land nicht hinter sich hatte, stürmte die 
neue Kammer mit fieberischer Hast vorwärts. Zehn Monate blieb sie 
versammelt, ohne ihre eigentliche Aufgabe, die Bewilligung des Budgets 
auch nur ernstlich anzugreifen. Dafür erging sie sich in donnernden Reden 
gegen die Sechs Artikel des Bundestages und heftigen Anklagen gegen 
die Regierung; sie sprach von einem neuen Wahlgesetze, von jährlichen 
Landtagen, von Beseitigung der Zensur, von Einführung des Code Napoleon 
auf dem rechten Rheinufer — und das alles in einer Zeit, da die Liberalen
	        
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