Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

344 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
verriet sich überall der stille Wunsch nach Durchlöcherung der Landes— 
verfassungen, aber auch die Angst vor offenbarem Eidbruch. Es war ein 
häßliches Spiel mit Treu und Glauben, und zugleich ein schwerer poli— 
tischer Fehler in einer Zeit radikaler Leidenschaften, wenn Deutschlands 
Fürsten hinter dem Rücken ihrer Landtage sich über Auslegung und Hand— 
habung ihrer beschworenen Landesverfassungen zu vereinbaren suchten. Mit 
reinem Gewissen und ohne stillen Vorbehalt konnte keiner der konstitutio— 
nellen Minister diese Artikel unterschreiben; am wenigsten der kurhessische, 
denn seine Landesverfassung war die einzige in Deutschland, die der neuen 
französischen Charte nahe stand, und keine Kunst der Auslegung vermochte 
sie mit den Wiener Beschlüssen in Einklang zu bringen. 
Ein zweiter Abschnitt von zehn Artikeln gab Vorschriften über die 
Zensur, forderte für die Herausgabe neuer Zeitungen eine besondere Er— 
laubnis — was den Vorschriften der sächsischen und der kurhessischen Ver— 
fassung geradeswegs zuwiderlief — und erlaubte jedem Staate, die von 
anderen Bundesgliedern bereits zensierten Schriften noch einmal zu zen— 
sieren oder auch zu verbieten. So ward dafür gesorgt, daß kein gefährlicher 
Schriftsteller jemals durchschlüpfen konnte. Die deutschen Buchhändler 
aber, die jetzt nochmals um Schutz gegen den Nachdruck baten, speiste die 
Konferenz mit einem leeren, auf die Zukunft vertröstenden Artikel ab. 
Vorläufig blieb es dabei, daß die Reutlinger Nachdrucker unter dem Schutze 
der Krone Württemberg die Leipziger großen Verleger bestahlen, ihre Raub- 
ware durch die armen Hausierer von der Rauhen Alb auf dem flachen 
Lande verbreiten ließen und mit diesen ahnungslosen Helfershelfern auf 
der Nachdruckermesse, dem berüchtigten „Ehninger Krämerkongreß“ regel- 
mäßige Abrechnung hielten. 
Dem dritten Abschnitt — über die Universitäten — lag jener hannö- 
versche Antrag zu Grunde, der vor drei Jahren am Bundestage so viel 
Verwunderung erregt hatte.)) Einige der Vorschläge Hannovers wurden 
als allzu hart beseitigt; was übrig blieb, war immerhin noch arg genug. 
Mit philisterhafter Kleinmeisterei versuchte die Konferenz durch siebzehn 
Artikel das Leben der Studenten bis ins einzelne zu regeln; namentlich 
das Reisen ward ihnen aufs äußerste erschwert, der Württemberger Berol- 
dingen dachte selbst die üblichen akademischen Spritzfahrten in die Um- 
gegend der Universitätsstädte nur nach eingeholtem Segen der Obrigkeit 
zu erlauben. Es war, als ob man die jungen Leute zur Selbstüber- 
hebung zwingen wollte; wie wichtig mußten sie sich selber vorkommen, 
wenn ihnen jetzt nach dem Frankfurter Attentate einige Zeit lang sogar 
das Übernachten in der Bundesstadt verboten wurde. 
Als Anhang folgte noch ein Artikel, der die Aktenversendungen in 
Kriminalfällen untersagte — weil die Tübinger Fakultät kürzlich ein sehr 
  
*) S. o. IV. 267.
	        
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