344 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
verriet sich überall der stille Wunsch nach Durchlöcherung der Landes—
verfassungen, aber auch die Angst vor offenbarem Eidbruch. Es war ein
häßliches Spiel mit Treu und Glauben, und zugleich ein schwerer poli—
tischer Fehler in einer Zeit radikaler Leidenschaften, wenn Deutschlands
Fürsten hinter dem Rücken ihrer Landtage sich über Auslegung und Hand—
habung ihrer beschworenen Landesverfassungen zu vereinbaren suchten. Mit
reinem Gewissen und ohne stillen Vorbehalt konnte keiner der konstitutio—
nellen Minister diese Artikel unterschreiben; am wenigsten der kurhessische,
denn seine Landesverfassung war die einzige in Deutschland, die der neuen
französischen Charte nahe stand, und keine Kunst der Auslegung vermochte
sie mit den Wiener Beschlüssen in Einklang zu bringen.
Ein zweiter Abschnitt von zehn Artikeln gab Vorschriften über die
Zensur, forderte für die Herausgabe neuer Zeitungen eine besondere Er—
laubnis — was den Vorschriften der sächsischen und der kurhessischen Ver—
fassung geradeswegs zuwiderlief — und erlaubte jedem Staate, die von
anderen Bundesgliedern bereits zensierten Schriften noch einmal zu zen—
sieren oder auch zu verbieten. So ward dafür gesorgt, daß kein gefährlicher
Schriftsteller jemals durchschlüpfen konnte. Die deutschen Buchhändler
aber, die jetzt nochmals um Schutz gegen den Nachdruck baten, speiste die
Konferenz mit einem leeren, auf die Zukunft vertröstenden Artikel ab.
Vorläufig blieb es dabei, daß die Reutlinger Nachdrucker unter dem Schutze
der Krone Württemberg die Leipziger großen Verleger bestahlen, ihre Raub-
ware durch die armen Hausierer von der Rauhen Alb auf dem flachen
Lande verbreiten ließen und mit diesen ahnungslosen Helfershelfern auf
der Nachdruckermesse, dem berüchtigten „Ehninger Krämerkongreß“ regel-
mäßige Abrechnung hielten.
Dem dritten Abschnitt — über die Universitäten — lag jener hannö-
versche Antrag zu Grunde, der vor drei Jahren am Bundestage so viel
Verwunderung erregt hatte.)) Einige der Vorschläge Hannovers wurden
als allzu hart beseitigt; was übrig blieb, war immerhin noch arg genug.
Mit philisterhafter Kleinmeisterei versuchte die Konferenz durch siebzehn
Artikel das Leben der Studenten bis ins einzelne zu regeln; namentlich
das Reisen ward ihnen aufs äußerste erschwert, der Württemberger Berol-
dingen dachte selbst die üblichen akademischen Spritzfahrten in die Um-
gegend der Universitätsstädte nur nach eingeholtem Segen der Obrigkeit
zu erlauben. Es war, als ob man die jungen Leute zur Selbstüber-
hebung zwingen wollte; wie wichtig mußten sie sich selber vorkommen,
wenn ihnen jetzt nach dem Frankfurter Attentate einige Zeit lang sogar
das Übernachten in der Bundesstadt verboten wurde.
Als Anhang folgte noch ein Artikel, der die Aktenversendungen in
Kriminalfällen untersagte — weil die Tübinger Fakultät kürzlich ein sehr
*) S. o. IV. 267.