Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

354 IV. 6. Der Deutsche Zollverein. 
liebgewonnenen Phrasen. In Bayern deklamierte Siebenpfeiffer gegen die 
Maut: sie hätte zur Volkssache werden sollen und ist zur Volksfeindin 
geworden! Stromeyer in Baden schrieb in die gefürchtete Zeitschrift „Rhein- 
bayern“ einen donnernden Artikel: Die preußische Aristokratenstirne wagt 
es, sich an das Nationalgefühl zu wenden! In Preußen herrscht, härter 
als irgendwo auf der Welt, die eiserne Konsequenz des Merkantilsystems; 
der mitteldeutsche Verein vertritt Freiheit. Darum soll Baden fest- 
halten an seinem trefflichen liberalen Zollwesen. Dann wird Württem- 
berg, das ohnedies durch seine hohe politische Bildung dem konstitutionellen 
Musterstaate nahe steht, und bald auch das konstitutionelle Bayern, Sachsen, 
Kurhessen dem badischen Systeme sich anschließen! — Auch einer der 
edelsten und gelehrtesten Vertreter deutscher Wissenschaft brach eine Lanze 
für den sterbenden Sonderbund. Johann Friedrich Böhmer verfaßte das 
wunderliche Büchlein „das Zollwesen in Deutschland geschichtlich beleuchtet". 
Der Legitimist des heiligen Reichs stellte den kühnen Satz auf, die Zoll- 
freiheit der deutschen Flüsse müsse von Rechts wegen auch für die Land- 
straßen gelten. Er pries den mitteldeutschen Verein als „den letzten Ver- 
such von dem, was einstens als gemeines deutsches Recht und Freiheit 
gegolten, soviel wie möglich, wenigstens vertragsweise, zu sichern.“ Er 
schalt Preußen den „Reichsfeind und Landfriedensbrecher“, warnte die 
Kleinstaaten, „wie leicht sich Einverleibungen der Nachbarländer an Zoll- 
angelegenheiten knüpfen,“ und getröstete sich des schönen Wortes, das vor 
zwölf Jahren der k. k. Präsidialgesandte gesprochen: daß „die hohe Bundes- 
versammlung die Beförderung und Erfüllung des deutschen Handels in 
die Hand nehmen werde“! 
Die sächsischen Höfe waren längst nicht mehr in der Lage, solchen 
Schrullen nachzuhängen. Die Not des Haushalts, das laute Murren 
des Volkes zwang sie, wie Motz vorausgesagt, demütig bittend in Berlin 
anzuklopfen. Armselige Advokatenkünste mußten vorhalten, um den Ver- 
tragsbruch zu beschönigen. Meiningen behauptete, der mitteldeutsche Verein 
sei durch den Eimbecker Vertrag zerrissen worden, er bestehe nicht mehr 
zu Recht. Der Verrat des einen diente dem anderen zum Vorwande; 
sobald die kleinen Thüringer schwankten, berief sich das Dresdner Kabinett 
auf den Artikel des Kasseler Vertrags, wonach die gänzlich vom Auslande 
umschlossenen Gebietsteile den Satzungen des Vereins nicht unterliegen 
sollten. Das sei jetzt Sachsens Fall, wenn Thüringen sich mit Preußen 
verständige — eine offenbare Sophisterei, da jene Klausel sich nur auf 
entlegene Enklaven bezog. Wollte der sächsische Hof ehrenhaft verfahren, 
so mußte er sofort einen neuen Kongreß der mitteldeutschen Verbündeten 
berufen, dort die Auflösung des unhaltbaren Vereines beantragen und 
dann erst mit Preußen unterhandeln. Aber die alte Politik der Winkelzüge, 
der Halbheit, des Mißtrauens gegen Preußen wurde selbst unter dem 
neuen Ministerium Lindenau nicht sogleich aufgegeben. Die sächsische
	        
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