366 IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
Berlin konnte nicht genug ihre Verwunderung aussprechen über den un-
gestümen Mann mit der roten Perücke und den vollgepfropften Akten-
mappen: welch eine weitschweifige Kleinlichkeit, welche Lust an unfrucht-
barem theoretischem Streite, welche Fülle unverdauter Gelehrsamkeit, welch
ein hartnäckiges Mißtrauen gegen Preußen! Der frühreife schwäbische
Staatsweise entfaltete bereits alle jene Talente, die noch vierzig Jahre
später den deutschen Reichstag bezaubern sollten; L. Kühne nannte ihn
„einen eingebildeten Narren, der den Bären des Nordlands seine kindische
konstitutionelle Weisheit zu predigen dachte“. Als Mohl dem einzigen
Küstenstaate des Zollvereins die Abschließung von Schiffahrtsverträgen
verbieten wollte, da erwiderte der Preuße: „dann werden wir also einen
unserer Ostseehäfen an Württemberg abtreten müssen, um die Gleichheit
zwischen den Zollgenossen herzustellen !“ Mit einem solchen Kollegen be-
haftet, konnte auch der bayrische Assessor Bever nichts fördern. Die hoch-
stehenden preußischen Staatsmänner fanden es bald unerträglich, mit Sub-
alternen zu verhandeln, die bei jeder Kleinigkeit daheim anfragten; und zu
allem Unheil begann auch wieder der alte Streit der Berliner Departe-
ments: Kühne und Eichhorn, die doch beide das nämliche wollten, be-
trachteten einander mit gegenseitiger Eifersucht. Also gestalteten sich die
Verhandlungen mit dem befreundeten Süden wider Erwarten zu einem
unerquicklichen Zwist. Im Mai 1832 brach man sie ab.
Moritz Mohl schrieb nun eine ungeheure Denkschrift und bewies,
daß der Zollverein mit Preußen den sicheren Untergang Württembergs
herbeiführen müsse. Ein Menschenalter darauf hat Freiherr von Varnbüler
dies klassische Aktenstück der Vergessenheit entrissen, um der Welt den Weit-
blick des Volksmannes zu zeigen. König Wilhelm wünschte nach wie vor
den Abschluß, selbst Wangenheim hatte einiges gelernt, mahnte aus der
Ferne zur Verständigung. Doch die große Mehrheit im Lande widerstrebte.
Die Fabrikanten, die bisher aus der Beherrschung des bayrischen Marktes
großen Gewinn gezogen, fürchteten die Industrie des Niederrheins, die
Bequemlichkeit des mächtigen Schreiberstandes zitterte vor der strengen
preußischen Kontrolle, der gesinnungstüchtige Liberale schlug ein Kreuz vor
dem Schreckbilde des norddeutschen Absolutismus. Mehr als ein halbes
Jahr brauchten die süddeutschen Höfe, um sich einen neuen Entschluß zu
bilden. Unterdessen trieb die Diplomatie OÖsterreichs und der auswärtigen
Mächte ihr verdecktes Spiel an den Höfen der Mittelstaaten. Eine Zeit-
lang stand die große Sache fast hoffnungslos. Baden tut wohl, alle
Zollvereinsgedanken vorläufig aufzugeben — sagte der bayrische Minister
Gise zu dem badischen Gesandten Fahnenberg — Preußen stellt unerhörte
Forderungen, verlangt von uns materielle Opfer und die Beschränkung
der Souveränität, Kurhessen bereut schon den übereilten Anschluß!*) Zu-
*) Fahnenbergs Bericht, 30. Mai 1832.