Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

32 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
verfehlten, künstlichen Staatsbildung. Ihrer stolzen Geschichte froh, konnten 
die Holländer in dem belgischen Lande, das seit den Tagen Philipps II. 
immer fremden Herrschern gehorcht hatte, nur einen Gebietszuwachs ihres 
wiederhergestellten nationalen Staates sehen, wie es die europäischen Ver- 
träge auch ausdrücklich aussprachen. Durch die Begehrlichkeit des Hauses 
Oranien und seiner englischen Gönner war aber der Zuwachs stärker ge- 
worden, als das Hauptland selber: drei und eine viertel Million Belgier 
standen zwei Millionen Holländern gegenüber, und sie wußten wohl, daß 
einst Südniederland unter dem glücklichen Zepter Kaiser Karls V. den 
Kern der vereinigten Siebzehn Provinzen gebildet hatte. Und was war 
ihnen nachher, seit die sieben Provinzen des Nordens sich aus der Ge- 
meinschaft des alten Gesamtstaates losrissen, von diesen feindlichen Brü- 
dern alles geboten worden: erst maßen sie sich mit den nordischen Nach- 
barn in einem langen blutigen Kampfe, denn der achtzigjährige Krieg der 
Holländer war doch größtenteils ein Bürgerkrieg zwischen den beiden 
Hälften Niederlands; endlich besiegt, mußten sie dann ertragen, wie 
ihnen die Schelde gesperrt, der indische Handel verboten, die Festungen 
durch holländische Garnisonen besetzt wurden. 
Ungleich stärker als diese bitteren politischen Erinnerungen, wirkte 
der Glaubenshaß. Nicht umsonst führten die belgischen Landschaften im 
Volksmunde den Namen der katholischen Niederlande, nicht umsonst waren 
ihre Geistlichen zwei Jahrhunderte hindurch mit Spaniens fanatischer 
Klerisei eng verbunden gewesen. Hier auf dem klassischen Boden der Reli- 
gionskriege walteten die kirchlichen Gegensätze stets so mächtig, daß die 
Stammesunterschiede daneben fast verschwanden. Wie scharf sich auch 
die schweren Flamen von den heißblütigen Wallonen unterschieden, den 
holländischen Ketzern gegenüber hielten sie doch zusammen als eine gläubige 
Herde. In Frankreich wie in England waren Liberale und Radikale die 
Urheber der Umgestaltung; in den Niederlanden ging die Revolution 
von den Ultramontanen aus, denen der Liberalismus nur das Hilfs- 
heer stellte. Kaum hatte Frankreich, unter Verwünschungen wider die 
Jesuiten, sein streng kirchliches altes Königshaus entthront, so erhob 
sich in Belgien ein Aufruhr, der, den Pariser Julikämpfen zugleich ver- 
wandt und feindlich, die Straßenschlachten wie die liberalen Schlagworte 
der Franzosen sich zum Muster nahm, um am letzten Ende der römischen 
Kirche einen glänzenden Triumph zu bereiten. Ganz ebenso seltsam hatte 
einst die Empörung der brabantischen Patrioten gegen Kaiser Joseph II. 
sich mit der französischen Revolution verflochten. 
Ein Gefühl der Gemeinschaft konnte sich zwischen den beiden fein- 
lichen Landeshälften von vornherein nicht bilden. Schon die Verfassung 
des neuen Königreichs wurde, weil sie die Gleichberechtigung der Be- 
kenntnisse vorschrieb, von der großen Mehrheit der belgischen Notabeln 
verworfen und nur durch einen häßlichen Betrug von der holländischen
	        
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