Holländer und Belgier. 33
Krone eigenmächtig eingeführt. Da beide Landesteile durch die gleiche
Stimmenzahl in den Generalstaaten vertreten waren, die Holländer mit
dem Stolze des Herrenvolkes einmütig zusammenhielten, unter den bel—
gischen Stimmen aber immer einzelne den Winken der Regierung folgten,
so wurde die belgische Mehrheit von der holländischen Minderheit regel—
mäßig überstimmt. Holländer bekleideten weitaus die meisten wichtigen
Stellen im Staatsdienst; alle Oberbehörden, sogar die Verwaltung der den
Holländern ganz unbekannten Bergwerke erhielten ihren Sitz in Holland.
Durch rücksichtslose Einführung der holländischen Staatssprache verdarb
man sich sogar unbedachtsam die köstliche Gelegenheit, dies Land der ewigen
Sprachenkämpfe friedlich zu germanisieren, den flamischen Dialekt, der dem
holländischen so nahe stand, zur Würde einer Schriftsprache zu erheben.
Den alten stürmischen Freiheitstrotz der Genter und der Brüggelinge
hatten die Jahrhunderte der Fremdherrschaft längst gezähmt; aber ge—
blieben war den Belgiern ein störrisches Mißtrauen gegen jede Regierung.
Wie sollten sie sich auch ein Herz fassen zu diesem Könige Wilhelm I.,
der, vom Wirbel bis zur Zehe ein protestantischer Holländer, mit dem
Dünkel seines harten Verstandes auf den Aberglauben seiner katholischen
Untertanen herabschaute und zudem, unbekümmert um die moderne Lehre
von der Verantwortlichkeit der Minister, nach der Weise seiner oranischen
Vorfahren persönlich regierte?
Das wohlhabende Bürgertum hielt sich lange still, da der Wohl—
stand wuchs und der belgische Gewerbfleiß in den holländischen Kolonien
lohnenden Absatz fand. Zuerst regte sich der Widerstand unter dem Adel
und den Geistlichen; dann folgten die von ihren Pfarrherren geleiteten
Massen. Die Führer der Klerikalen blickten hoffend nach Frankreich
hinüber, nach der Kongregation des Pavillons Marsan. Der König aber
führte, wenig wählerisch in den Mitteln, einen geheimen Krieg gegen die
Bourbonen, er begünstigte unter der Hand die Anschläge der französischen
Unzufriedenen, er gewährte ihren Flüchtlingen jahrelang in Brüssel eine
Freistatt und bewirkte also, daß der belgische Liberalismus durch diese
Gäste ganz mit französischen Gedanken durchtränkt wurde. Der Haß
gegen die Holländer beförderte zugleich die französische Bildung und die
Macht der Kirche. Der scharf bureaukratischen Kirchenpolitik des Königs
trat der Klerus mit offenbarer Unbotmäßigkeit entgegen; wieder wie in
Kaiser Josephs Tagen klagte er über Glaubensdruck, weil die Staats-
gewalt ein geistliches Seminar in Löwen errichtet hatte. Den maßlosen
Anklagen der Ultramontanen antworteten in der amtlichen Presse der
berüchtigte Libry-Bagnano und seine Genossen mit einer Roheit, die ein
katholisches Volk empören mußte.
Endlich, in denselben verhängnisschweren Tagen, da das Ministerium
Martignac zusammenstürzte, sprach der O'Connell Belgiens, Louis de
Potter, das entscheidende Wort: Union der Liberalen und der Katholiken.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 3