Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Immermann. 447 
den Terrorismus einer Burschenschaft verteidigte, rief er, allen Gesetzen 
des Komments zuwider, in einer Streitschrift das öffentliche Urteil an 
und brachte seine Beschwerde bis vor die Stufen des Thrones; mochten 
die Gegner ihn verhöhnen, er hatte in dem Feldzuge von Belle-Alliance 
wacker mitgefochten, seinen Mut durften sie ihm nicht abstreiten.“) Nach— 
her lebte er lange als Richter, meist in Beamtenstädten, fast ohne künst— 
lerischen Verkehr, und ging, wie Platen spottete, „morgens zur Kanzlei 
mit Akten, abends auf den Helikon“. So in tiefer Einsamkeit verschlang 
er die Kunstwerke aller Zeiten und Völker, aber seine eigenen Dichtungen 
gelangten trotz seiner rastlosen Arbeitskraft noch nicht weit über den an— 
empfindenden Dilettantismus hinaus. Keiner unserer namhaften Dichter 
hat so viel Verfehltes oder Halbgelungenes geschaffen. Die zarte musi— 
kalische Stimmung des Lyrikers blieb ihm fremd. Seine Dramen wirkten, 
bei manchen Vorzügen, doch nicht überzeugend und konnten sich nicht lange 
auf der Bühne behaupten; auch sein Merlin, ein gedankenreiches Gedicht 
Faustischen Stiles, schreckte ab durch mystische Formlosigkeit. Der starke, 
wie zum Herrschen geborene Mann trat im Gespräche jedem mit über— 
legener Sicherheit entgegen; in seinen Werken erschien er oft wie ein 
sklavischer Nachahmer, und zudem hegte er eine theoretische Vorliebe für 
die Phantasiespiele des jungen Tieck, während seine eigene Anlage ihn doch 
ganz auf die Darstellung des wirklichen Lebens hinwies. Seinem kern— 
haften Wesen lag in Wahrheit nichts ferner als romantische Überschweng- 
lichkeit; mit süßlicher Frömmelei hatte sein schlichter ernster Gottesglaube 
nichts gemein, und auch die sentimentale Naturschwärmerei der Zeit war 
ihm ein Greuel. Er wußte aus der Geschichte, daß die Blüte der Mensch— 
heit in den Alpen nicht gedeiht; er empfand an sich selber, daß die höchste 
Pracht der Natur den Geist ebenso leicht erdrücken wie erheben kann, und 
sagte ehrlich: „Ich kann nur mit der Natur Freundschaft stiften, der ich 
es ansehe, daß menschliche Kräfte leicht und frei auf sie einwirken können.“ 
Erst als ihn ein freundliches Geschick nach Düsseldorf geführt hatte, 
begann er sich von dem angelernten Bombast zu befreien und fand ein 
fruchtbares Arbeitsfeld auf dem Grenzgebiete zwischen Poesie und Prosa. 
Dort unter dem leichtlebigen Düsselvölkchen, das noch von den pfälzischen 
Zeiten her Becherlust und Mummenschanz liebte, war seit der preußischen 
Herrschaft einer jener kleinen Kulturherde entstanden, denen das deutsche 
Leben seine Wärme dankt. Die neue Kunstakademie stand auf der Höhe 
ihres Ruhms, die Konzerte leitete der junge Felix Mendelssohn-Bartholdy. 
Auf seinem Landgerichte traf Immermann zwei gleichgesinnte Amtsgenossen, 
den Kunsthistoriker Schnaase und den ernsten frommen Dichter Friedrich 
von Uechtritz. In dem kunstsinnigen Hause des Geh. Rats von Sybel ge- 
noß er heitere Gastlichkeit und bald herzliche Freundschaft; auch der Hof 
  
*) S. o. II. 431.
	        
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