Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

38 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Die Hofburg zeigte sich kaum weniger friedfertig als das preußische 
Kabinett; ihre Nachgiebigkeit entsprang dem Bewußtsein der Schwäche. 
Welche schweren Enttäuschungen brachte dies wilde Jahr dem alternden 
Staatskanzler! Am 4. Februar hatten die drei Schutzmächte auf der 
Londoner Konferenz beschlossen, das meuterische Griechenland solle ein 
unabhängiges, tributfreies Königreich werden. Und nun die Nachricht 
von dem Sturze der bourbonischen Regierung, deren „guten und äußerst 
kräftig erwiesenen Willen“ Metternich noch zwei Tage zuvor warm belobt 
hatte! Der in dem Pariser Bundesvertrage und dem geheimen Aachener 
Protokoll?) vorhergesehene Kriegsfall war nunmehr unzweifelhaft gegeben, 
menn anders man die Verträge streng auslegte. Wollte Metternich nicht 
alles verleugnen, was er seit fünfzehn Jahren unablässig der Welt gepre- 
digt hatte, so mußte er jetzt die legitimen Mächte auffordern zum Kampfe 
gegen die Revolution, die sich in Frankreich drohender, gefährlicher erhob 
als weiland in Neapel, in Piemont, in Spanien. Und doch wagte er 
nicht einmal sich auf jene Verträge zu berufen. Die Geschichte war dar- 
über hinweggeschritten; der Hochmut, der sich erdreistet hatte, dem ewigen 
Werden der Menschheit ein Halt zuzurufen, zeigte sich in seiner ganzen 
Blöße. Unter allen großen Mächten war Österreich am wenigsten auf 
einen Krieg vorbereitet. Selbst die beschämenden Erfahrungen des orien- 
talischen Krieges hatten diesen Hof nicht aus seiner Trägheit aufgerüttelt. 
Das Heer befand sich noch immer in ebenso elendem Zustande wie der 
Staatshaushalt. Die Zahl der Mannschaften unter der Fahne blieb 
weit hinter dem Friedensfuße zurück; die Artillerie brauchte zwei Monate 
um auszurücken, denn von den Geschützen waren kaum fünfzig bespannt; 
nur die Reiterei, etwa 40 000 Pferde stark, behauptete noch ihren alten 
Ruf. Dazu viele überalte Generale und Stabsoffiziere; sogar siebzig- 
jährige Hauptleute waren nicht selten, da der sparsame Kaiser Franz 
Abschiedsgesuche fast ebenso ungern bewilligte wie sein bayerischer 
Schwager. Die Offiziere fühlten sich gedrückt durch den geistlos pe- 
dantischen Dienst und auch in der Gesellschaft zurückgesetzt, denn bei 
Hofe wie in den Kreisen des hohen Adels galten sie nichts; der einzige 
Feldherr, dem sie vertrauten, Erzherzog Karl, blieb dank der Eifer- 
sucht seines kaiserlichen Bruders allen Geschäften fern.) 
Mit einer solchen Kriegsmacht ließ sich ein europäischer Kreuzzug für 
das legitime Recht nicht führen; genug schon, wenn sie nur in Osterreichs 
nächstem Machtgebiete, in Italien, die täglich wachsende revolutionäre Er- 
regung niederzuhalten vermochte. Rückhaltlos äußerte sich Gentz zu dem 
badischen Gesandten, dem kriegslustigen alten Kosakenführer General Tetten- 
  
5) S. o. II. 471. 
7*) Nach General Tettenborns Berichten (durch Otterstedt an Bernstoff mit- 
geteilt 1. März 1830).
	        
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