480 IV. 7. Das Junge Deutschland.
die aus 4,8 Mill. Ztr. Rüben über 284000 Ztr. Zucker erzeugten. Die
zünftigen Nationalökonomen, die noch fast sämtlich in den Banden der
englischen Theorien lagen und arglos die Interessen der britischen Handels-
politik verteidigten, klagten und zürnten über diese künstliche Industrie.
Indes die Magdeburgischen Rübenbauer erfreuten sich der steigenden Guts-
erträge, die Verzehrer der sinkenden Zuckerpreise, und bald erlebte man,
daß in rüstigen Zeiten eine Erfindung immer die andere weckt. Da die
Rübe ihre Wurzeln fast viermal tiefer in die Erde senkt als das Getreide,
so mußte der Rübenbauer den Acker tiefer umpflügen, und ganz von selbst
ergab sich der Schluß, daß der Körnerbau diesem Beispiel folgen, die
Kräfte des Bodens, ohne sie zu erschöpfen, gründlicher ausnutzen könne.
Hoffnungsvoll wie ein Jüngling begrüßte Alexander Humboldt die
große Zeit der Naturforschung, die jetzt herannahte. Er schrieb in diesen
Jahren seine Bücher über Zentralasien, die mit Ritters asiatischen For-
schungen glücklich zusammentrafen, und bereitete den Kosmos vor; unver-
drossen saß der weltberühmte Alte in Paris und Berlin mitten unter den
Studenten, um von Hase, Champollion, Böckh zu lernen, was ihm an
philologisch-historischem Wissen noch fehlte. Zugleich blieb er der hilfs-
bereite Gönner aller aufstrebenden Talente. Seiner Fürsprache verdankte
Justus Liebig den Zutritt zu Gay-Lussacs Laboratorium. Dort lernte
der feurige, leidenschaftlich übersprudelnde junge Hesse die Ehrfurcht vor
dem Wirklichen; er schüttelte den Hochmut der Naturphilosophie von sich
ab, und als er nach Gießen heimkehrte (1826), gab er der Chemie, die in
Deutschland noch kaum zu den Wissenschaften gerechnet und gern den Apo-
thekern überlassen wurde, sofort eine neue Lehrmethode: nicht im Hörsaal,
sondern durch das Experiment, am Herde und vor den Retorten, sollten
seine Schüler ihr Bestes lernen. Anfangs fast allein auf seine eigenen
dürftigen Mittel angewiesen, nachher durch die hessische Regierung unter-
stützt, errichtete er das erste allgemein zugängliche Laboratorium, das der
kleinen Gießener Universität einen europäischen Ruhm verschaffte. Weit
später erst fand sein Herzensfreund Wöhler in Göttingen ein leidliches
Unterkommen für seine Versuche; Preußen aber blieb in der Pflege der
Chemie lange zurück, denn auf die starken Ansprüche dieser neuen Wissen-
schaften war das alte sparsame System, das allein die Erhaltung von
sechs Universitäten ermöglicht hatte, durchaus nicht eingerichtet. Auf Augen-
blicke unterlag Liebigs hochstrebender vielseitiger Geist wohl jenen schwer-
mütigen Stimmungen, welche den Chemiker in der schlechten Luft des
Laboratoriums, beim Einerlei mühsamer Experimente so leicht anwandeln.
Dann meinte er verzweifelnd: „Die Chemie ist doch im Grunde nur ein
Rechenexempel; zuletzt ist ihr Zweck weiter nichts als eine gute Stiefel-
wichse oder die Kunst zu finden, das Fleisch gar zu kochen.“ Aber Wöh-
lers ruhiger Zuspruch richtete ihn immer wieder auf, und wie vieler
schönen Erfolge konnten sich die beiden Freunde schon jetzt erfreuen. Liebig