Die Junghegelianer. A. Ruge. 485
den Zuständen das Unvernünftige aufspürten und durch ihre souveräne
Kritik als unwirklich aufzuheben suchten. Hatte Hegel die Einheit des gött-
lichen und des menschlichen Lebens als eine sittliche Forderung aufgestellt,
so erklärten seine radikalen Nachtreter den konkreten Menschen selbst für
einen Gott; hatte er die konstitutionelle Monarchie als ein Staatsideal
bezeichnet, so behaupteten sie, alle Philosophen müßten konstitutionell und
alle Konstitutionellen bald auch Philosophen sein. Sie hatten mit dem
konservativen Meister in Wahrheit nichts gemein als seine dialektische
Methode, die freilich alles beweisen konnte, und fanden doch überall Glau—
ben, als sie dreist behaupteten, daß sie allein ihn ganz verstünden. Wie
einst Napoleon, der Bändiger der Revolution, die sogenannten Ideen von
89 erst in Europa verbreitet wurde, so wurde Hegels System erst durch
seine abtrünnigen radikalen Schüler den gebildeten Durchschnittsmenschen
vertraut, und diese tiefsinnige Lehre von der geschichtlichen Offenbarung
Gottes erschien den Nachlebenden als die Doktrin des geschichtslosen Ra—
dikalismus. So hart, so übermäßig hart bestrafte sich an dem großen
Denker die tragische Schuld seiner sophistischen Dialektik.
Als Sammelplatz der Junghegelianer dienten seit 1838 die von Ruge
und Echtermeyer herausgegebenen Hallischen Jahrbücher. Arnold Ruge
war, nachdem er seine demagogischen Jugendtorheiten in langer Kerker—
haft abgebüßt, „zwei Jahre lang ruhig ausgewandert in das neu entdeckte
Land des neuesten Geistes“ und meinte sich nun berufen, diese Hegelsche
Philosophie, wie er sie auffaßte, „die wahre Wirklichkeit, das Zeitbewußt-
sein, das echt positive, das letzte historische Resultat“ kämpfend zu ver-
treten, denn „Krieg ist Leben, und Leben muß sein“. Mit seinen Jahr-
büchern dachte er „allen noch wirklich treibenden und lebendigen Kräften
der Zeit einen ganz neuen Mittelpunkt der Anziehung“ zu bieten, und da
die jüngeren Professoren eifrig mitarbeiteten, so glaubte er bald, sein Halle
sei ein anderes Weimar geworden. Durch und durch ehrlich, gemütlich
bis zur Weichheit, ein liebenswürdiger Gesellschafter und treuer Hausvater,
besaß er doch weder Kenntnisse noch fruchtbare Gedanken. Seine Stärke
lag lediglich in der dialektischen Gewandtheit, die alles, was je gedacht
worden, als überwundenen Standpunkt, als aufgehobenes Moment zu „ne-
gieren“, alle Gegner als „wissenschaftlich Zurückgebliebeneund Unmündige“
abzufertigen wußte. Da er in Halle Hausbesitzer und Stadtverordneter
war, so hatte er die preußische Verwaltung aus der Nähe kennen gelernt und
gestand seinen buchgelehrten Genossen aufrichtig: „unser Staatswesen ist
ein freies, gerechtes.“ Die Verehrung der Liberalen für die Juden teilte
er auch nicht; „die Rahel, das eklige Mensch“ war ihm „nicht wert, negiert
zu werden“, und wenn er unter Freunden mit seinem breiten pommer-
schen Lachen über die „Pferdsköpfe“ der Gegner sich lustig machte, dann
erhielten auch „die Knoblauchfresser“ unfehlbar ihren Teil. Es lag aber
im Wesen dieser leeren, zum Selbstzweck gewordenen Kritik, daß sie sich