Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Junghegelianer. A. Ruge. 485 
den Zuständen das Unvernünftige aufspürten und durch ihre souveräne 
Kritik als unwirklich aufzuheben suchten. Hatte Hegel die Einheit des gött- 
lichen und des menschlichen Lebens als eine sittliche Forderung aufgestellt, 
so erklärten seine radikalen Nachtreter den konkreten Menschen selbst für 
einen Gott; hatte er die konstitutionelle Monarchie als ein Staatsideal 
bezeichnet, so behaupteten sie, alle Philosophen müßten konstitutionell und 
alle Konstitutionellen bald auch Philosophen sein. Sie hatten mit dem 
konservativen Meister in Wahrheit nichts gemein als seine dialektische 
Methode, die freilich alles beweisen konnte, und fanden doch überall Glau— 
ben, als sie dreist behaupteten, daß sie allein ihn ganz verstünden. Wie 
einst Napoleon, der Bändiger der Revolution, die sogenannten Ideen von 
89 erst in Europa verbreitet wurde, so wurde Hegels System erst durch 
seine abtrünnigen radikalen Schüler den gebildeten Durchschnittsmenschen 
vertraut, und diese tiefsinnige Lehre von der geschichtlichen Offenbarung 
Gottes erschien den Nachlebenden als die Doktrin des geschichtslosen Ra— 
dikalismus. So hart, so übermäßig hart bestrafte sich an dem großen 
Denker die tragische Schuld seiner sophistischen Dialektik. 
Als Sammelplatz der Junghegelianer dienten seit 1838 die von Ruge 
und Echtermeyer herausgegebenen Hallischen Jahrbücher. Arnold Ruge 
war, nachdem er seine demagogischen Jugendtorheiten in langer Kerker— 
haft abgebüßt, „zwei Jahre lang ruhig ausgewandert in das neu entdeckte 
Land des neuesten Geistes“ und meinte sich nun berufen, diese Hegelsche 
Philosophie, wie er sie auffaßte, „die wahre Wirklichkeit, das Zeitbewußt- 
sein, das echt positive, das letzte historische Resultat“ kämpfend zu ver- 
treten, denn „Krieg ist Leben, und Leben muß sein“. Mit seinen Jahr- 
büchern dachte er „allen noch wirklich treibenden und lebendigen Kräften 
der Zeit einen ganz neuen Mittelpunkt der Anziehung“ zu bieten, und da 
die jüngeren Professoren eifrig mitarbeiteten, so glaubte er bald, sein Halle 
sei ein anderes Weimar geworden. Durch und durch ehrlich, gemütlich 
bis zur Weichheit, ein liebenswürdiger Gesellschafter und treuer Hausvater, 
besaß er doch weder Kenntnisse noch fruchtbare Gedanken. Seine Stärke 
lag lediglich in der dialektischen Gewandtheit, die alles, was je gedacht 
worden, als überwundenen Standpunkt, als aufgehobenes Moment zu „ne- 
gieren“, alle Gegner als „wissenschaftlich Zurückgebliebeneund Unmündige“ 
abzufertigen wußte. Da er in Halle Hausbesitzer und Stadtverordneter 
war, so hatte er die preußische Verwaltung aus der Nähe kennen gelernt und 
gestand seinen buchgelehrten Genossen aufrichtig: „unser Staatswesen ist 
ein freies, gerechtes.“ Die Verehrung der Liberalen für die Juden teilte 
er auch nicht; „die Rahel, das eklige Mensch“ war ihm „nicht wert, negiert 
zu werden“, und wenn er unter Freunden mit seinem breiten pommer- 
schen Lachen über die „Pferdsköpfe“ der Gegner sich lustig machte, dann 
erhielten auch „die Knoblauchfresser“ unfehlbar ihren Teil. Es lag aber 
im Wesen dieser leeren, zum Selbstzweck gewordenen Kritik, daß sie sich
	        
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