Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Clausewitz, vom Kriege. 549 
ges“ klang fast wie eine Weissagung der Kämpfe von 1870: der wahr— 
haft „kriegerische Krieg“, so führte er hier aus, muß auf die Zertrüm— 
merung der feindlichen Streitkraft ausgehen, zu einem solchen Erfolge 
gehört ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front. 
Nach den bisherigen Erfahrungen glaubte Clausewitz noch, in den meisten 
Fällen würde sich der Krieg nur beschränktere Zwecke setzen; unmöglich 
konnte er vorhersehen, daß dereinst überall nach Preußens Vorbilde große 
Nationalheere entstehen, und dadurch das Ideal des absoluten Kriegs zur 
Regel werden sollte. 
Seine Ideen entsprachen dem natürlichen Heldensinne der Deutschen 
und der Verfassung des preußischen Heeres, die in allem auf rasche, durch- 
schlagende Entscheidungen berechnet war; einfach und groß, wie die Kriegs- 
kunst selbst, drückten sie nur mit wissenschaftlicher Schärfe aus, was die 
tüchtigeren deutschen Offiziere längst ahnten. Darum nahm man das 
Buch überall mit Bewunderung auf; mannigfache populäre Bearbei- 
tungen — so die Militärischen Briefe eines Verstorbenen von dem sächsi- 
schen Militärschriftsteller Pönitz — machten es auch den mindergebildeten 
Offizieren zugänglich; die gesamte deutsche Kriegswissenschaft nährte sich 
daran, viele seiner Sätze galten bald als Gemeinplätze. Also wurden die 
Gedanken der napoleonischen Kriegführung im preußischen Generalstabe 
unablässig weitergebildet, während sie bei den Franzosen selbst fast in Ver- 
gessenheit gerieten. Das französische Heer war jetzt in gutem Stande, dem 
auswärtigen Feinde gegenüber unbedingt zuverlässig, trotz der Parteikämpfe, 
welche das Offizierskorps zerspalteten; aber die Ausbildung der Mann- 
schaften erfolgte bei weitem nicht so gewissenhaft wie in Preußen, die 
zahlreichen altgedienten Unteroffiziere schadeten durch Trunksuchtundschlechte 
Kasernensitten fast mehr, als sie durch ihre technische Fertigkeit nützten, 
und durchaus verderblich wurden dem Geiste des Heeres die in Algier er- 
fochtenen Siege. Die „afrikanischen“ Generale erlangten ein unverdientes 
Ansehen, obgleich ihre rohe Kriegführung gegen einen gesitteten Feind offen- 
bar nicht genügen konnte; die ohnehin wenig zuverlässige Armeeverwaltung 
gewöhnte sich in Algier an Diebstahl und Unredlichkeit; die Truppen ver- 
wilderten in dem Kampfe wider ein barbarisches Volk und wüteten, als 
sie nachher die Arbeiteraufstände in Lyon und Paris unterdrückten, mit 
teuflischer Grausamkeit gegen ihre eigenen Landsleute. Trotz aller Miß- 
stände, welche der lange Frieden hervorrief, blieb Preußens Heer dem fran- 
zösischen überlegen durch Treue, Mannszucht, Bildung, Menschlichkeit und 
einen frischen kriegerischen Sinn, der ohne zu prahlen sich's doch zutraute, 
die alten Siegesbahnen in das Herz des feindlichen Landes wiederzufinden. — 
Unter den vielen Enttäuschungen seiner alten Tage empfand es der 
König besonders schwer, daß er die Umarbeitung der fridericianischen Ge- 
setzbücher, die ihm unter allen Reformen am nötigsten schien, nicht mehr 
erleben sollte. Derweil Minister Mühler durch seine stramme Justizver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.