Die Königsberger Mucker. 563
Sekte des mystischen Theosophen Schönherr noch immer ihre seltsamen An—
dachtsübungen. An ihrer Spitze stand jetzt der Prediger Ebel, ein schöner,
feuriger, beredter Mann, der auf die Weiber einen unwiderstehlichen Zauber
ausübte und in geheimnisvollen Andeutungen von der Verklärung der irdi—
schen Liebe sprach; mit überströmender süßlicher Zärtlichkeit pflegten die
Gläubigen einander zu begrüßen. Ein Kreis angesehener Männer und
Frauen aus den ersten Geschlechtern der Provinz scharte sich um den be—
geisterten Schwärmer, darunter auch zwei Schwägerinnen des Oberpräsi—
denten Schön; der aber verabscheute alles, was von der Kritik der reinen
Vernunft abwich, und belegte die Gemeinde der Erweckten mit dem Namen
der „Mucker“. Nicht lange, so entstanden finstere Gerüchte über das geheime
unzüchtige Treiben der Mucker, und bei der tiefen, heißen Leidenschaftlichkeit
ostpreußischer Naturen schien es keineswegs unmöglich, daß die alte rätsel-
hafte Verwandtschaft von Sinnlichkeit und religiöser Ekstase sich auch bei
dieser Sekte gezeigt hätte. Es fehlte nicht an Verdachtsgründen; doch irgend-
ein Beweis lag nicht vor und ist auch bis zum heutigen Tage nicht zu
erbringen. Der Hauptbelastungszeuge war erst vor kurzem aus der Ge-
meinde ausgestoßen worden und darum schon wenig glaubwürdig. Bei der
Untersuchung verfuhr das Konsistorium, das durchweg aus Schöns ratio-
nalistischen Gesinnungsgenossen bestand, offenbar parteiisch. Der Ober-
präsident hielt sich in seinem Gewissen verpflichtet, die verhaßte Gemeinde
mit Stumpf und Stiel auszurotten; er trat so heftig auf, daß die Gläu-
bigen ihn mehrmals in Berlin verklagten. Die Minister aber hielten zu
ihm, weil nach Altensteins kirchenpolitischen Grundsätzen jede Sektiererei
vom Ubel war.“) In letzter Instanz erklärte das Kammergericht endlich
die behaupteten unzüchtigen Handlungen für unerwiesen und verurteilte
den Sektierer Ebel nur wegen Verletzung seiner geistlichen Amtspflicht.“)
Sieben Jahre hindurch beschäftigte dieser Muckerprozeß die ohnehin
erregte Provinz und verbitterte die Gemüter aufs äußerste. Nichts
konnte der werdenden Opposition willkommener sein als ein Skandal unter
Geistlichen und Edelleuten. Obwohl Ebel keineswegs auf dem Boden des
Augsburger Bekenntnisses stand und die Orthodoxen von jeher seine erklärten
Feinde waren, so wurden sie doch von dem herrschenden Rationalismus der
Mitschuld bezichtigt; jeder Kirchlichgesinnte hieß bei den aufgeklärten Königs-
bergern ein Mucker und Heuchler. Der Adelshaß der Liberalen schwelgte
in kühnen Erfindungen und erzählte Unglaubliches von der Sittenverderbnis
der ehrenfesten ostpreußischen Aristokratie. Auch die Judenschaft Königs-
*) Eingaben an das Staatsministerium: von Frau v. Bardeleben, 18. März,
vom Prediger Diestel, 11. Nov.; Altensteins Votum, 29. April 1837, nebst Voten von
Mühler, Rochow, Rother.
*“) Das skandalsüchtige Buch von W. H. Dixon, Spiritual Wives, London 1868,
ist reich an falschen Angaben und für den Historiker kaum benutbar.