Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

750 XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838. 
Wäre es aber auch anders, hätte ich mich nicht nach ihrem Sinne benommen, — 
so würde ich gleichwohl keine meiner Abstimmungen zurücknehmen, eben weil sie aus 
meiner UÜberzeugung hervorgegangen sind. 
Gerade diese Starrheit aber, womit ich auf demjenigen beharre, was ich für Recht 
halte, macht mich zum württembergischen Volksvertreter gänzlich unfähig. 
Mögen auch die politischen Ansichten der Wahlmänner des Oberamtsbezirks Geiß- 
lingen sein, welche sie wollen, — so viel ist jedenfalls gewiß, daß die Mehrzahl des Volks 
meine Ansichten nicht teilt. 
Mein Glaubensbekenntnis stützt sich nämlich auf die Überzeugung, daß die Wieder- 
herstellung oder vielmehr die Herstellung des schon seit 1819 gestörten Rechtszustandes 
die erste und heiligste Pflicht des Volksabgeordneten sei und daß es nicht nur in seiner 
Befugnis, sondern selbst in der von ihm übernommenen eidlichen Verpflichtung liege, 
einer verfassungswidrigen Regierung die Mittel zu entziehen, womit sie ihr gesetzwidriges 
System durchführt. 
Zwar stehen dieser Ansicht die Beschlüsse des deutschen Bundes entgegen, allein 
eben deshalb bekämpften wir sie als verfassungswidrig. 
Es ist hier nicht der Ort, diese hochwichtige Frage einer weiteren Beleuchtung zu 
unterwerfen: aber es ist Tatsache, daß sich selbst solche Abgeordnete, welche sonst für 
freisinnig gelten, der parlamentarischen Erörterung jener Beschlüsse widersetzten, obgleich 
sie auf unsere verfassungsmäßigen Verhältnisse fortwährend den entschiedensten Einfluß 
ausüben. 
Diese Abgeordneten handelten sicherlich im Sinne ihrer Kommittenten, allein nicht 
die Ansicht der Kommittenten, sondern die eigene Überzeugung soll den Abgeordneten 
bei seinen Abstimmungen leiten. .Jch bin ferner weit entfernt, äußerste Mittel, wie 
Steuerverweigerung, empfehlen zu wollen, solange man die Hoffnung haben kann, daß 
gelindere Mittel zum Ziele führen werden. 
Wenn aber zugegeben werden muß, daß sich die Regierung in allen die öffentlichen 
Verhältnisse betreffenden Hauptpunkten zu irgend einer Nachgiebiqgkeit nicht nur nicht 
geneigt zeigte, sondern daß sie vielmehr die Angriffe der Opposition als ebensoviele bös- 
willige Eingriffe in ihre Rechtebezeichnete, so wird hierdurch zugleich ausgesprochen, daß 
die Anwendung jenes äußersten Mittels vollkommen begründet war. 
Oder, kann man es mit dem bestehenden Rechte der Steuerverweigerung in Ein- 
klang bringen, einer Regierung, welche dem Volke gerade diejenigen Mittel vorenthält, 
die allein geeignet sind, den Sinn für einen verfassungsmäßigen Rechtszustand zu wecken 
und zu erhalten, kann man es, sage ich, mit jenem Rechte in Einklang bringen, einer 
solchen Regierung das Geld zu verwilligen, womit der Zensor belohnt wird, weil er die- 
jenigen Stellen streicht, welche sich auf die Rechte der Staatsbürger beziehen; — das Geld 
zu verwilligen, womit der Polizeibeamte bezahlt wird, weil er gegen politische Versamm- 
lungen einschreitet; — das Geld zu verwilligen, womit der Richter besoldet wird, weil 
er den Widerstand gegen solche Verfügungen bestraft? 
Dem Fungeachtet erwarb sich die Staatsverwaltung den Beifall ihrer Stände in 
so hohem Grade, daß die Ansicht der Opposition nicht mehr als 19 Stimmen gewinnen 
konnte! Leider mußte ich während meiner landständischen Laufbahn gar häufig die 
Erfahrung machen, wie der deutsche Bund bei fast allen Fragen von höherem Interesse 
gleich einem Popanz vorgeschoben wurde. Wollte die Opposition — unter Berufung 
auf den tiefen Frieden — das Militär-Budget herabsetzen, so rief man ihr entgegen: „der 
Bund!“"“s Suchte sie — unter Berufung auf die diplomatische Bedeutungslosigkeit des 
Königreichs — die Kosten für auswärtige Angelegenheiten zu verringern, so tönte es 
wieder: „der Bundl“ Eiferte sie unter Berufung auf die Verfassung gegen die Zensur: 
„der Bund!“ 
Und machtensie gar Angriffe auf den Bund selbst, dreimal: „der Bund!“
	        
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