750 XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838.
Wäre es aber auch anders, hätte ich mich nicht nach ihrem Sinne benommen, —
so würde ich gleichwohl keine meiner Abstimmungen zurücknehmen, eben weil sie aus
meiner UÜberzeugung hervorgegangen sind.
Gerade diese Starrheit aber, womit ich auf demjenigen beharre, was ich für Recht
halte, macht mich zum württembergischen Volksvertreter gänzlich unfähig.
Mögen auch die politischen Ansichten der Wahlmänner des Oberamtsbezirks Geiß-
lingen sein, welche sie wollen, — so viel ist jedenfalls gewiß, daß die Mehrzahl des Volks
meine Ansichten nicht teilt.
Mein Glaubensbekenntnis stützt sich nämlich auf die Überzeugung, daß die Wieder-
herstellung oder vielmehr die Herstellung des schon seit 1819 gestörten Rechtszustandes
die erste und heiligste Pflicht des Volksabgeordneten sei und daß es nicht nur in seiner
Befugnis, sondern selbst in der von ihm übernommenen eidlichen Verpflichtung liege,
einer verfassungswidrigen Regierung die Mittel zu entziehen, womit sie ihr gesetzwidriges
System durchführt.
Zwar stehen dieser Ansicht die Beschlüsse des deutschen Bundes entgegen, allein
eben deshalb bekämpften wir sie als verfassungswidrig.
Es ist hier nicht der Ort, diese hochwichtige Frage einer weiteren Beleuchtung zu
unterwerfen: aber es ist Tatsache, daß sich selbst solche Abgeordnete, welche sonst für
freisinnig gelten, der parlamentarischen Erörterung jener Beschlüsse widersetzten, obgleich
sie auf unsere verfassungsmäßigen Verhältnisse fortwährend den entschiedensten Einfluß
ausüben.
Diese Abgeordneten handelten sicherlich im Sinne ihrer Kommittenten, allein nicht
die Ansicht der Kommittenten, sondern die eigene Überzeugung soll den Abgeordneten
bei seinen Abstimmungen leiten. .Jch bin ferner weit entfernt, äußerste Mittel, wie
Steuerverweigerung, empfehlen zu wollen, solange man die Hoffnung haben kann, daß
gelindere Mittel zum Ziele führen werden.
Wenn aber zugegeben werden muß, daß sich die Regierung in allen die öffentlichen
Verhältnisse betreffenden Hauptpunkten zu irgend einer Nachgiebiqgkeit nicht nur nicht
geneigt zeigte, sondern daß sie vielmehr die Angriffe der Opposition als ebensoviele bös-
willige Eingriffe in ihre Rechtebezeichnete, so wird hierdurch zugleich ausgesprochen, daß
die Anwendung jenes äußersten Mittels vollkommen begründet war.
Oder, kann man es mit dem bestehenden Rechte der Steuerverweigerung in Ein-
klang bringen, einer Regierung, welche dem Volke gerade diejenigen Mittel vorenthält,
die allein geeignet sind, den Sinn für einen verfassungsmäßigen Rechtszustand zu wecken
und zu erhalten, kann man es, sage ich, mit jenem Rechte in Einklang bringen, einer
solchen Regierung das Geld zu verwilligen, womit der Zensor belohnt wird, weil er die-
jenigen Stellen streicht, welche sich auf die Rechte der Staatsbürger beziehen; — das Geld
zu verwilligen, womit der Polizeibeamte bezahlt wird, weil er gegen politische Versamm-
lungen einschreitet; — das Geld zu verwilligen, womit der Richter besoldet wird, weil
er den Widerstand gegen solche Verfügungen bestraft?
Dem Fungeachtet erwarb sich die Staatsverwaltung den Beifall ihrer Stände in
so hohem Grade, daß die Ansicht der Opposition nicht mehr als 19 Stimmen gewinnen
konnte! Leider mußte ich während meiner landständischen Laufbahn gar häufig die
Erfahrung machen, wie der deutsche Bund bei fast allen Fragen von höherem Interesse
gleich einem Popanz vorgeschoben wurde. Wollte die Opposition — unter Berufung
auf den tiefen Frieden — das Militär-Budget herabsetzen, so rief man ihr entgegen: „der
Bund!“"“s Suchte sie — unter Berufung auf die diplomatische Bedeutungslosigkeit des
Königreichs — die Kosten für auswärtige Angelegenheiten zu verringern, so tönte es
wieder: „der Bundl“ Eiferte sie unter Berufung auf die Verfassung gegen die Zensur:
„der Bund!“
Und machtensie gar Angriffe auf den Bund selbst, dreimal: „der Bund!“