Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Bunsens Denkschrift über den Kirchenstaat. 69 
Theokratie ist Kastenherrschaft; die unerläßliche Vorbedingung aller Re- 
formen, die Gleichstellung der Laien durfte der gekrönte Priester nicht 
im Ernst zugestehen. 
Unterdessen forderte Frankreich, im Namen der heiligen Nichtein- 
mischungslehre, laut und lauter die Räumung des Kirchenstaates, obgleich 
der Papst selber das längere Verweilen der Besatzungstruppen dringend 
wünschte und jedermann in Bälde einen zweiten Aufstand erwartete. 
Über den langwierigen gereizten Verhandlungen rückte endlich der Tag 
heran, da die Pariser Kammern wieder zusammentreten sollten. Da 
spielte Ludwig Philipp den letzten Trumpf aus, der ihm fortan immer 
zu seinen Scheinerfolgen verhelfen mußte; er erklärte: wenn Osterreich 
nicht rechtzeitig die Romagna räume, dann könne er die Leidenschaften 
seiner Volksvertreter nicht mehr zurückhalten, und der Krieg werde un- 
vermeidlich. Nunmehr gab Metternich in der Form nach, da er doch 
seinen wesentlichen Zweck erreicht hatte. Die kaiserlichen Truppen zogen 
im Juli ab, aber zugleich schloß Graf Lützow mit der dankbaren Kurie 
einen geheimen Vertrag, kraft dessen Osterreich sich verpflichtete, die Sou- 
veränität des Papstes unter allen Umständen aufrecht zu erhalten, also 
beim nächsten Aufstande den Kirchenstaat sogleich wieder zu besetzen. Für 
diesen Fall erbat sich Metternich jetzt schon vorsorglich Preußens und 
Rußlands Unterstützung.) Siegesfroh erzählten die Minister des Bürger- 
königs der tiefen Unwissenheit ihrer Abgeordneten das Märchen, daß Frank- 
reich den Papst von dem kaiserlichen Joche befreit habe. In Wahrheit stemmte 
der Kaiserstaat fester denn jemals seinen Fuß auf Italiens Nacken. Das 
buhlerische Spiel der Orleans mit den Geheimbünden der Revolution trieb 
alle Fürsten der Halbinsel, auch den unberechenbaren Karl Albert dem 
Wiener Hofe in die Arme; in den nächsten Jahren blieb ÖOsterreich unbe- 
stritten die Vormacht Italiens. Unter der Jugend des Landes aber wendeten 
sich schon einzelne helle Köpfe, wie Graf Camillo Cavour, den konstitutio- 
nellen Ideen des neuen Frankreichs zu; und ebenso folgenreich ward es für 
eine ferne Zukunft, daß Ludwig Napoleon hier zuerst in die Gesellschaft der 
Demagogen eintrat. Der Prinz verlor während jener Wirren in der Ro- 
magna seinen älteren Bruder durch den Tod, und als bald darauf (Juli 
1832) auch der Herzog von Reichstadt starb, da gingen die Erbansprüche 
des napoleonischen Hauses auf diesen jungen Schweiger über. Der kriege- 
rische Bonapartismus war mit dem stolzen König von Rom ins Grab ge- 
sunken; der neue Prätendent ging die stillen Wege des Verschwörers. — 
Auch in der Schweiz fand die Julirevolution ein Nachspiel. Nicht 
umsonst hatten die Eidgenossen während der müden Jahre der Restaura- 
tion ein von außen her ungestörtes Stilleben geführt; sie zeigten sich 
jetzt bei weitem weniger abhängig von den Pariser Ideen als einst, da 
  
) Metternich an Trauttmansdorff, 5. Sept. 1831.
	        
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