Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

72 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Bewachung der Grenzen im Osten und im Westen aufgeboten waren. 
Mit großer Offenheit ließ das Auswärtige Amt diese Vorsichtsmaßregeln 
dem Pariser Hofe mitteilen; selbst der Schein einer Herausforderung 
sollte vermieden werden.“) 
Die Kriegsgefahr rückte noch näher, als der Brüsseler Kongreß zur 
Königswahl für den neuen Staat schritt. Nachdem er schon im No- 
vember die Entthronung der Oranier ausgesprochen hatte, war er jetzt 
keineswegs gesonnen, seinen Beschluß zurückzunehmen. Gesichert durch 
das Spiel und Gegenspiel der großen Mächte hielten die Belgier sich 
für unangreifbar. Auf dem Namen König Wilhelms lastete seit der Be- 
schießung von Antwerpen ein furchtbarer Haß, und der ehrgeizige Prinz 
von Oranien hatte in jüngster Zeit eine so zweideutige Rolle zwischen den 
Parteien gespielt, daß sein eigener Vater ihm die belgische Krone kaum noch 
wünschte. Die Ostmächte begannen daher bereits an den Aussichten des 
Hauses Oranien zu verzweifeln. Bernstorff bekannte dies schon um Mitte 
Dezembers; kaum vier Wochen später ließ Metternich in Petersburg die 
gleiche Meinung aussprechen und fügte betrübt hinzu: „was nicht Frank- 
reich und England mit Wärme unterstützen, kann nicht durchgesetzt werden.“ 
Selbst Zar Nikolaus konnte sich der hoffnungslosen Stimmung seiner 
Bundesgenossen nicht ganz erwehren; er befahl seinen Bevollmächtigten 
in London, die belgische Krone für den Prinzen von Oranien zu fordern; 
würden sie jedoch überstimmt, dann behalte sich der Kaiser vor, zu ent- 
scheiden, ob ihm ein anderer Thronbewerber ungefährlich erscheine.) 
Desto kecker schritt der belgische Kongreß vorwärts. Obgleich seine 
Mehrheit die Einverleibung in Frankreich nicht wünschte, so meinte sie doch, 
daß ihr Land nur von den Franzosen Hilfe zu erwarten habe. Um sich diesen 
Beistand zu sichern und das Interesse des furchtsamen Bürgerkönigs für 
immer an Belgien anzuketten, wollte man seinem zweiten Sohne, dem 
Herzog von Nemours, den neuen Thron anbieten. Welch eine Dreistig- 
keit revolutionärer Selbstüberhebung! Wie konnte man glauben, daß die 
großen Mächte diesem Orleans, der kürzlich erst demütig um seine eigene 
Anerkennung gebettelt hatte, jemals gestatten würden, sich noch eine zweite 
Krone für sein Haus zu erschleichen? Und welch ein Hohn auf die so- 
eben beschlossene, von den Belgiern selbst freudig begrüßte Neutralität des 
neuen Staates, wenn man hier eine französische Nebenkrone gründete! 
Ludwig Philipp erkannte auch sofort, daß seine übermütigen belgischen 
Freunde gradeswegs auf einen allgemeinen Krieg lossteuerten, und ließ in 
Brüssel wie in London erklären, an die Annahme dieser Krone sei nicht 
zu denken. Doch mittlerweile tauchte ein neuer Thronkandidat auf, der 
  
*) Protokoll der Konferenz von Bernstorff, Gneisenau u. a. 7. Febr. Kabinetts- 
ordre an Prinz Wilhelm d. Alt. 16. Febr. 1831. 
**) Bernstorff, Weisung an Bülow, 17. Dezember 1830. Metternich an Ficquel- 
mont, 10. Januar. Weisung an Lieven, 19. Januar (a. St.) 1831.
	        
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