C. Perier. 75
Wien aus eingeleitete langwierige Verhandlung wegen gleichzeitiger Ab—
rüstung aller Mächte führte zwar nicht zum Ziele, da solche Vorschläge
an dem natürlichen Selbstgefühle souveräner Staaten notwendig scheitern
müssen; immerhin bewies sie, daß die Spannung etwas nachließ.)
Völlig ehrenhaft und zuverlässig verfuhr das französische Kabinett auch
unter Casimir Periers Leitung nicht, da Talleyrand in London, hinter
dem Rücken des Ministers doch schwerlich ohne Vorwissen Ludwig Phi-
lipps auf eigene Faust Politik trieb und in geheimnisvollen Andeutungen
die Teilung Belgiens empfahl.
Nachdem die Trennung des niederländischen Gesamtstaates entschie-
den war, lag es in Preußens Interesse, die neue Ordnung der Dinge rück-
haltlos anzuerkennen, den Belgiern rasch zu einem Oberhaupte zu ver-
helfen und also dem preußischen Staate den entscheidenden Einfluß in
Brüssel zu sichern. Jedoch zu einer so kühnen Schwenkung, wie sie Lord
Palmerston leichten Herzens vollzogen hatte, konnte sich König Friedrich
Wilhelm in seiner gewissenhaften Bedachtsamkeit nicht entschließen. Er
wollte weder das legitime Recht der oranischen Verwandten kurzerhand
bekämpfen, noch mit dem Brüsseler Kongresse, der seine französischen Nei-
gungen so unverhohlen bekundet hatte, in Verkehr treten, und am aller-
wenigsten den Bund der Ostmächte auflockern, dessen Preußen jetzt mehr
denn je bedurfte. Zar Nikolaus hoffte, trotz allem, was mit seiner eigenen
Zustimmung geschehen war, noch immer auf die Wiederherstellung der
oranischen Herrschaft, und Metternich wagte nicht, dem Gefürchteten offen
zu widersprechen. So gerieten die Ostmächte allesamt in eine schiefe
Stellung; sie überließen den Westmächten die Vorhand in dem nieder-
ländischen Spiele und begnügten sich, widerwillig, schmollend hinzunehmen,
was nicht mehr zu ändern war. Während Palmerston mit van de Weyer
sich immer enger befreundete, der Bürgerkönig durch seine Agenten den
Brüsseler Kongreß bearbeiten ließ, wurde in Berlin der Bevollmächtigte
der belgischen Regierung, Baron Behr, durch den Bureaudirektor des
Auswärtigen Amts kurzweg abgewiesen, weil zwischen Preußen und Bel-
gien keine Beziehungen beständen, außer denen, welche die Londoner
Konferenz erst herzustellen suche.)
Nach der vergeblichen Königswahl vom Februar versuchte Ludwig
Philipp unter der Hand, seinem Neffen, dem blutjungen Prinzen Karl
von Neapel, die belgische Krone zu verschaffen, stand aber sogleich davon
ab, als er den Unwillen der Ostmächte bemerkte. *“) Inzwischen übernahm
der Baron Surlet de Chokier die Regentschaft, ein alter Klerikaler, der,
seit Jahren mit den Oraniern verfeindet, sich doch zu der belgischen Er-
hebung kein Herz fassen wollte; er hatte in seiner Jugend die brabantische
*) Alopeus an Ancillon, 2. Mai; Antwort 26. Mai 1831 usw.
**) Vureau-Direktor Zahn an Baron Behr, 23. April 1831.
*“) Alopeus an Anecillon, 8. März 1831.