Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

80 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Mächte auf seiner Seite. Am 15. November ward ihm der Triumph, 
daß die Bevollmächtigten der Londoner Konferenz mit seinem Gesandten 
van de Weyer einen Vertrag schlossen und das Königreich Belgien, auf 
Grund der Vierundzwanzig Artikel, förmlich anerkannten. Im nächsten 
Monat verständigte er sich sodann mit den Mächten des alten Vierbundes 
über die längst beabsichtigte Schleifung von fünf festen Plätzen an der 
Südgrenze. Frankreich wurde von dieser Verhandlung ausgeschlossen und 
seine lärmenden Klagen über den „infamen“ Festungsvertrag blieben ohne 
Folgen. — 
Also trat, von den großen Mächten mittelbar anerkannt, die belgische 
Verfassung in Wirksamkeit. Sie beruhte, wie es nicht anders sein konnte, 
auf dem Grundsatze der Volkssouveränität, da der neue Staat sein Dasein 
einer Revolution verdankte und zudem die alten Freiheiten der Joyeuses 
entrées, welche den Brabantern sogar das Recht des Widerstandes ge- 
währt hatten, noch in frischer Erinnerung standen. „Alle Gewalten gehen 
von der Nation aus,“ so bestimmte ihr wichtigster Artikel. Jedes histo- 
rischen Rechtes bar regierte der König nur kraft Vertrages, durch den 
Willen des Volks, er mußte sich alljährlich sämtliche Steuern sowie den 
ganzen Bestand des Heeres von den Kammern neu bewilligen lassen und 
er konnte solche Abhängigkeit ertragen, weil in diesem neutralen Mittel- 
staate weder eine große auswärtige Politik noch ein ernsthaftes Heerwesen 
möglich war. Jene republikanische Doktrin Rottecks und seiner Schüler, 
welche den konstitutionellen König aller selbständigen Gewalt entkleidete, 
war hier mithin noch folgerichtiger durchgeführt als in Frankreichs neuer 
Charte. Obgleich das konstitutionelle Leben in dem fruchtbaren Erdreich 
altniederländischer Gemeindefreiheit tiefere Wurzeln schlagen konnte als 
auf dem steinigen Boden des napoleonischen Verwaltungsdespotismus, 
so schuf die Revolution doch in Belgien wie in Frankreich nur die Klassen- 
herrschaft des reichen Bürgertums. Ein hoher Zensus schloß die Massen 
vom Wahlrechte aus, so daß in den Dörfern erst auf 104 Einwohner 
ein Wähler kam; die erste Kammer, der Senat, vertrat ausschließlich das 
Großkapital, im ganzen Lande waren nur 403 Männer für diese oli- 
garchische Körperschaft wählbar. 
Mit der Bourgeoisie aber teilte sich der römische Klerus in die 
Beherrschung des Staates — und hierin lag die europäische Bedeutung 
des neuen Gemeinwesens. Wenn Richelien einst gehofft hatte, aus den 
spanischen Niederlanden eine katholische Republik zu bilden, die dem streit- 
baren Calvinismus der Holländer die Wage halten sollte, so ging der 
Traum des Kardinals jetzt herrlich in Erfüllung. Seit dem Herbst 1830 
ließ Lamennais zu Paris im Verein mit Pater Lacordaire und dem Grafen 
Montalembert die Zeitschrift L'Avenir erscheinen, ein Blatt, das mit 
feuriger Beredsamkeit zugleich die römische Weltherrschaft und eine fast 
schrankenlose politische Freiheit verteidigte. Die Leitartikel des Avenir
	        
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