Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Sendung von Grolman und Radowitz. 93 
beiden Mächte, durch ein Rundschreiben die deutschen Höfe zur Wachsam- 
keit aufzufordern und zugleich in Paris vertraulich wegen der französischen 
Rüstungen anzufragen. Bei alledem hegte man in Berlin wie in Wien 
noch durchaus friedliche Absichten. Der preußische Hof hatte dem fran- 
zösischen die Sendung der beiden Offiziere nach Wien schon im voraus 
freundschaftlich angezeigt und die Beteuerung hinzugefügt, durch die Ein- 
tracht des Deutschen Bundes werde die allgemeine Ruhe am besten ge- 
sichert.) Nur für den Fall, daß die Kriegspartei den friedlichen Bürger- 
könig überwältigte, wollte man sich gedeckt halten. Frankreichs Rüstungen 
bewirkten einen Zustand des „bewaffneten Friedens“ — so lautete der 
neue Modeausdruck der Diplomaten und der Zeitungen. Deutschland 
mußte auf der Wacht stehen. Diese unschuldige Absicht hatte der König 
durch die Sendung seiner Offiziere in der Tat erreicht, und mit hohem 
Selbstgefühle sagte Maltzan zu Metternich: unser Monarch achtet Öster- 
reichs Stellung in Deutschland, er ist jedoch unabänderlich entschlossen, 
den Deutschen Bund aus dem Zustande der Entwürdigung zu reißen 
und ihn „in die Reihe der Mächte wieder emporzuheben“.*) Friedrich 
Wilhelms dichterische Phantasie trug sich wirklich mit dem Wahne, daß 
der Deutsche Bund neben Österreich und Preußen noch eine selbständige 
Macht bilden und Deutschland also mit der Wucht dreier Großmächte in 
die Geschicke der Welt eingreifen würde. Metternichs Nüchternheit konnte 
diese traumhaften Vorstellungen von den Riesenkräften Bayerns und 
Darmstadts unmöglich teilen; er hielt jedoch für klug in den weihevollen 
Ton des preußischen Hofes einzustimmen und redete fortan in Gesprächen 
und Denkschriften hochpathetisch von „dem Deutschen Bunde, dem Staate 
des europäischen Festlandes, der unter allen nach dem Umfange seiner 
Machtmittel den ersten Rang einnehme“, im Kampf gegen Frankreichs 
bewaffneten Frieden die erste Rolle zu spielen berufen sei und als 
fünfte Macht dem Vierbunde beitreten müsse.*) 
Wie diese fünfte Macht in Wirklichkeit beschaffen war, das sollte 
Radowitz sofort erfahren, als er nunmehr die Höfe von München, Stutt- 
gart, Karlsruhe, Darmstadt, Wiesbaden besuchte, die allesamt schon 
durch die preußische Bundesgesandtschaft über die europäische Lage und 
die Kriegsgefahr unterrichtet waren.x) Etwas später kam auch, mit gleich- 
lautenden Weisungen versehen, General Heß, einer der tüchtigsten Sol- 
daten aus Radetzkys Schule. Überall wurde der Preuße mit offenen 
Armen aufgenommen, überall empfing er bundesfreundliche Zusagen und 
die vertrauliche Beteuerung, daß Süddeutschland weder der Kraft noch 
7*) Werther, Weisung an Arnim in Paris, 14. Nov. 1840. 
**) Maltzans Bericht, 27 Nov. 1840. 
*7“) Maltzans Bericht, 14. Dez. Metternichs Denkschrift über die europäische Lage, 
18. Dez. 1840. 
f) Sydows Bericht, Frankfurt 23. Okt. 1840. 
 
	        
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