Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

112 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
zuletzt noch in dem Schlußvertrage vom 19. April 1839, die vollständige 
Neutralität Belgiens ausbedungen hatten, allesamt von der Voraus— 
setzung ausgegangen, daß die Unabhängigkeit des jungen Staates nur 
von Frankreich her bedroht werden könne. Nun erfuhren sie, auf wie 
lockerem Grunde alle diese papierenen Verheißungen standen; sie durften 
nicht dulden, daß dies neutrale Land sich erdreistete, als europäische Macht 
aufzutreten, und ließen daher in Brüssel sehr nachdrücklich erklären: in 
der gegenwärtigen Lage bedeute die bewaffnete Neutralität Belgiens nichts 
anders als den Anschluß an Frankreich, den Bruch aller europäischen 
Verträge.) 
Alle diese Wechselfälle beirrten den König von Preußen nicht in seiner 
fast unbedingten Friedfertigkeit. Mit einer Wärme, welche weit über das 
Maß seiner wirklichen Gefühle hinaus ging, beteuerte er dem Bürger- 
könige beständig seine persönliche Verehrung. Die Londoner Konferenz 
wünschte er nach Wien zu verlegen, wo man Frankreich zuziehen könne 
und den Übermut Palmerstons nicht zu fürchten habe. Als er damit 
nicht durchdrang, ließ er dem russischen Hofe aussprechen, wie viel Schmerz 
ihm persönlich die ablehnende Haltung Brunnows bereite.**) Noch deut- 
licher schrieb Werther nach Petersburg: Rußland lege dem Juli-Vertrage 
einen ausschließlichen und aufreizenden Sinn unter, welchen Osterreich 
und Preußen niemals billigen könnten; ihnen sei es nie eingefallen, Frank- 
reich für immer von den orientalischen Verhandlungen auszuschließen. 
Rußland stütze sich auf Wüsten und auf friedliche Nachbarn und könne 
sich daher wohl die Genugtuung gestatten, das Scheinbild des in Wahr- 
heit nicht mehr bestehenden Bundes der Westmächte zu zerstören. Preu- 
ßen dagegen, obwohl fest entschlossen, einen aufgezwungenen Verteidigungs- 
kampf mit voller Kraft zu führen, müsse den Frieden wünschen, da bei 
der Schwäche OÖsterreichs und der kleinen Staaten „die ganze Last eines 
deutschen Krieges auf Preußen fallen würde. Die Hilfe, welche uns Ruß- 
land leisten könnte, würde, wie die Erfahrung gelehrt hat, verspätet, un- 
vollständig und von tausend übelständen begleitet sein.“ An der Ver- 
nichtung Mehemed Alis wolle Preußen auf keinen Fall teilnehmen; 
sein Ziel sei die Erhaltung des osmanischen Reichs unter Mitwirkung 
Frankreichs.*“) Ganz ebenso friedlich äußerte sich Metternich, obwohl er 
seinen Abscheu gegen „Thiers' verworfene Persönlichkeit“ mit starken Worten 
bekundetez xf) in langen lehrhaften Depeschen versuchte er den Mächten 
zu zeigen, wie man Frankreich in das curopäische Konzert zurückführen könne. 
*) Schleinitzs Bericht, London 18. Sept. Liebermanns Bericht, Petersburg 23. 
Sept. 1840. 
**) König Friedrich Wilhelm an Min. Werther, 26. Aug., 7. Okt. 1840. 
*#*) Werther, geh. Weisung an Liebermann, 31. Okt., Bericht an den König, 9. Nov., 
Weisungen an Bülow, 9. 11. Nov. 1840. 
) Metternich an Werther, 3. Sept. 1840. 
 
	        
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