Die Entscheidung im Mittelmeere. 113
Dieser versöhnlichen Politik der deutschen Mächte widerstand der Peters-
burger Hof lange mit hochmütiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht
seine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte, dem französischen
Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, so doch
eine beschämende öffentliche Demütigung zu bereiten. Unter mannig-
fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorschläge ab.-)
Auf jeden Fall, meinte der Zar, müsse Frankreich den ersten Schritt
zur Versöhnung tun; „wenn die Initiative für das französische Kabinett
schwer ist, so ist sie für uns noch viel schwerer, und ganz gewiß werden
wir sie nicht ergreifen.“) Und Nesselrode schrieb den deutschen Höfen:
jeder Versöhnungsversuch wird Frankreichs Übermut nur steigern; jetzt
ist die Zeit, „dem französischen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenso
nötig ist, wie sie für uns vorteilhaft sein wird;“ nach den Kriegsdrohun-
gen der Franzosen können die vier Mächte heute vieles nicht mehr
bewilligen, was früher annehmbar erschien.“) Fast ebenso herausfordernd
redete zuweilen das englische Kabinett. Obgleich Palmerston anfangs,
gleich den anderen Mächten, die Absetzung Mehemed Alis verurteilt hatte,
so blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon-
sonbys, der polternd und schmähend den fanatischen Haß des Diwans
noch zu überbieten suchte. Derselbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede
mutwillige Empörung schadenfroh begünstigte, entblödete sich nicht, die
Doktrin der starren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein
legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponsonby:
man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zustehende Befugnis, einen
rebellischen Statthalter abzusetzen, nicht bestreiten. Der preußischen Re-
gierung ließ er, da sie den Gewaltstreich des Sultans nach wie vor miß-
billigte, mit gewohnter Ungeschliffenheit sagen: sie habe sich „nicht die
Mühe gegeben, diese Sache und ihre Folgen zu ergründen.“) Bis zur
Vernichtung Mehemed Alis wollte er allerdings nicht gehen; er wünschte
vielmehr, der rebellische Pascha möge sich dem Oberlehnsherrn bald unter-
werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrschaft über
Agypten neu belehnt zu werden.-,
Die Meinungsverschiedenheit im Schoße der vier Mächte begann schon
bedrohlich zu werden; da fiel die Entscheidung auf dem orientalischen
Kriegsschauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür-
kischer Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des englischen
*) Berichte von Liebermann 3. Okt.; von Schleinitz, London, 5. 27. Okt., von
Bülow 24. Okt. 1840.
**) Liebermanns Bericht, 17. Okt. 1840.
*“ #) Nesselrode an Tatistschew in Wien, 5. Okt. a. St., an Meyendorff in Berlin,
12. 25. 31. Okt. a. St. 1840.
1) Ponsonby an Palmerston 10. Sept. Will. Russell an Werther 20. Okt. 1840.
f)Palmerston, Weisung an Ponsonby, 15. Okt. 1840.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 8