Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Die Entscheidung im Mittelmeere. 113 
Dieser versöhnlichen Politik der deutschen Mächte widerstand der Peters- 
burger Hof lange mit hochmütiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht 
seine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte, dem französischen 
Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, so doch 
eine beschämende öffentliche Demütigung zu bereiten. Unter mannig- 
fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorschläge ab.-) 
Auf jeden Fall, meinte der Zar, müsse Frankreich den ersten Schritt 
zur Versöhnung tun; „wenn die Initiative für das französische Kabinett 
schwer ist, so ist sie für uns noch viel schwerer, und ganz gewiß werden 
wir sie nicht ergreifen.“) Und Nesselrode schrieb den deutschen Höfen: 
jeder Versöhnungsversuch wird Frankreichs Übermut nur steigern; jetzt 
ist die Zeit, „dem französischen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenso 
nötig ist, wie sie für uns vorteilhaft sein wird;“ nach den Kriegsdrohun- 
gen der Franzosen können die vier Mächte heute vieles nicht mehr 
bewilligen, was früher annehmbar erschien.“) Fast ebenso herausfordernd 
redete zuweilen das englische Kabinett. Obgleich Palmerston anfangs, 
gleich den anderen Mächten, die Absetzung Mehemed Alis verurteilt hatte, 
so blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon- 
sonbys, der polternd und schmähend den fanatischen Haß des Diwans 
noch zu überbieten suchte. Derselbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede 
mutwillige Empörung schadenfroh begünstigte, entblödete sich nicht, die 
Doktrin der starren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein 
legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponsonby: 
man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zustehende Befugnis, einen 
rebellischen Statthalter abzusetzen, nicht bestreiten. Der preußischen Re- 
gierung ließ er, da sie den Gewaltstreich des Sultans nach wie vor miß- 
billigte, mit gewohnter Ungeschliffenheit sagen: sie habe sich „nicht die 
Mühe gegeben, diese Sache und ihre Folgen zu ergründen.“) Bis zur 
Vernichtung Mehemed Alis wollte er allerdings nicht gehen; er wünschte 
vielmehr, der rebellische Pascha möge sich dem Oberlehnsherrn bald unter- 
werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrschaft über 
Agypten neu belehnt zu werden.-, 
Die Meinungsverschiedenheit im Schoße der vier Mächte begann schon 
bedrohlich zu werden; da fiel die Entscheidung auf dem orientalischen 
Kriegsschauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür- 
kischer Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des englischen 
  
*) Berichte von Liebermann 3. Okt.; von Schleinitz, London, 5. 27. Okt., von 
Bülow 24. Okt. 1840. 
**) Liebermanns Bericht, 17. Okt. 1840. 
*“ #) Nesselrode an Tatistschew in Wien, 5. Okt. a. St., an Meyendorff in Berlin, 
12. 25. 31. Okt. a. St. 1840. 
1) Ponsonby an Palmerston 10. Sept. Will. Russell an Werther 20. Okt. 1840. 
f)Palmerston, Weisung an Ponsonby, 15. Okt. 1840. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.