Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

124 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
Da die evangelische Kirche sich auf dem Worte aufbaut, so gewährt sie 
der Persönlichkeit, mithin auch der volkstümlichen Eigenart der Prediger 
einen großen, oft allzu großen Spielraum; die Deutschen vermißten in 
den trockenen, schablonenhaften Ansprachen der Anglikaner gänzlich die 
durchgebildete homiletische Kunst ihrer heimischen Predigten. Die vorherr- 
schende Meinung der Landeskirche bekundeten zwei streng gläubige Theo- 
logen, Schneckenburger und Hundeshagen in einer geharnischten Schrift 
„das anglo-preußische Bistum zu St. Jakob“; sie nannten es unwürdig, 
daß Deutschlands Protestantismus hinter seiner jüngeren Schwester zurück- 
stehen solle: sei seine schlichte Wahrhaftigkeit etwa weniger christlich als 
die werkheilige Selbstbespiegelung jener Staatskirche, welche Milton schon 
mit der Diana von Ephesus verglichen hatte? 
Der König ließ sich durch alle solche Einwürfe nicht beirren, und er 
erlebte nach einigen Jahren die Freude, daß seine fromme Stiftung gedieh, 
weit bescheidener freilich, als Bunsen geträumt hatte. Die Judenmission 
fand im Vaterlande Israels begreiflicherweise einen sehr undankbaren 
Boden; indessen mehrte sich die Zahl der Protestanten nach und nach durch 
Einwanderung und vereinzelte Bekehrungen. Neben der Jakobskapelle auf 
Zion entstanden bald ein Hospital, ein Waisenhaus, eine treffliche Schule. 
Drei Gemeinden, eine deutsche, eine englische, eine arabische erkannten den 
Bischof als geistliches Oberhaupt an, ohne doch ihre Selbständigkeit aufzu- 
geben; die deutsche hielt ihren Gottesdienst nach der Liturgie, welche 
Bunsen einst auf dem Kapitol eingeführt hatte. Als Alexanders Nachfolger 
Bischof Gobat alles auf anglikanischen Fuß zu setzen versuchte, mußte er 
rasch wieder einlenken und sah sich genötigt, zuweilen selbst deutschen Gottes- 
dienst zu halten.') Also erblühte auf Zion ein gesundes evangelisches 
Kirchenleben, vielgestaltig und doch einträchtig, wie es der Idee des Pro- 
testantismus entspricht; und die Macht des jungen Bistums reichte bald 
weit genug, um den Protestanten überall in Vorderasien eine Stütze zu 
bieten. Auf die Dauer aber konnten die Deutschen unmöglich ertragen, 
daß ihren Geistlichen die Gleichberechtigung verweigert wurde; und da der 
britische Hochmut schlechterdings nicht nachgab, so sah sich die Krone 
Preußen nach einem halben Jahrhundert (1887) genötigt, das phan- 
tastische Unionsbistum aufzugeben, ihre Gemeinde auf Zion ganz selb- 
ständig auszugestalten. 
Als politischer Vertrag war das von Bunsen geschlossene Abkommen 
eine Ungeheuerlichkeit, weil England allein ohne jede Gegenleistung die 
Vorteile daraus zog, und erfahrene Diplomaten meinten schon: jetzt 
werde dem theologischen Eindringling doch endlich das Handwerk gelegt 
werden. Friedrich Wilhelm dachte anders. Politische Pläne hatte er bei 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 5. Okt. 1847. Heinrich v. Thile d. J., Be- 
richt an den König, Jerusalem, 3. April 1848.
	        
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