Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

130 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
An der Seite der Herrscherin eines solchen Weltreichs mußte ein 
kleiner deutscher Prinz in die nämliche Lage geraten wie eine ins Aus— 
land verheiratete Prinzessin: er konnte sein Volkstum nicht behaupten. 
Prinz Albert wurde bald ganz zum Engländer, obwohl er im Familien- 
kreise meistens deutsch sprach und die liebreiche Gemahlin, zum Entsetzen 
aller frommen Britenherzen, ihm sogar erlaubte, beim Fischessen ein silber- 
nes Messer zu benutzen. Als er wenige Jahre nach seiner Heirat Deutsch- 
land wieder besuchte, trug er die britischen Sitten geflissentlich zur Schau 
und hielt im grauen Sommer-Überrock die Heerschau über die Mainzer 
Garnison, so daß die preußischen Generale erzürnt fragten, ob dieser junge 
Wettiner denn gar nicht mehr wüßte, daß deutsche Fürsten die vaterlän- 
dischen Fahnen im Waffenschmucke ehrten. In dem kalten, freudlosen 
englischen Leben verlor er jene menschenfreundliche Heiterkeit, welche den 
gebildeten Deutschen auszeichnet, und wurde steif, pedantisch, in seinen 
Urteilen schroff und lieblos, so daß ihm auch die Arbeit in der Kinder- 
erziehung, die er mit großem Pflichteifer betrieb, nur bei einigen seiner 
Töchter, bei dem Thronfolger gar nicht gelang. Sein Selbstgefühl ward 
durch die berechneten Schmeicheleien der britischen Parteiführer und die 
harmlosen Lobeserhebungen der festländischen Konstitutionellen sehr hoch 
gesteigert. Auf seine durchlauchtigen Genossen daheim sah er mit Hoch- 
mut herab; er glaubte, die deutsche Politik besser als sie zu verstehen, 
obgleich er durch die lange Abwesenheit die Fühlung mit den vaterlän- 
dischen Dingen längst verloren hatte, und meinte, nichts Arges zu tun, 
wenn er die deutschen Fürsten in hofmeisterndem Tone aufforderte, allezeit 
den Wegen Englands zu folgen. Derselben Ansicht huldigte auch die 
Königin. Sie liebte ihren Gemahl so innig, daß sie auch sein Vaterland 
mit ins Herz schloß und nach Frauenart sich berechtigt glaubte, über dessen 
Wohl zu wachen. Wie ihre Vorfahren als Könige von Hannover, so 
wähnte sie als Herzogin zu Sachsen, dem Deutschen Bunde mit anzu- 
gehören, und die deutschen Höfe boten für die zarten Künste der Damen- 
politik einen ungleich dankbareren Boden als das englische Parlament. 
Zwischen London, Brüssel, Wiesbaden und Koburg wurde, mit Ab- 
zweigungen nach Paris und Lissabon, eine Kurierkette eingerichtet, welche 
die Vertrauten des Hauses Koburg in regelmäßigem Verkehr erhielt. 
Während die englische Presse in ihrem blinden Fremdenhasse den angeb- 
lichen „deutschen Einfluß“" am Londoner Hofe bekämpfte, konnte Deutschland 
mit besserem Rechte über englisch-koburgischen Einfluß klagen. Des Prinz- 
gemahls älterer Bruder, der gut deutsch gesinnte Herzog Ernst von Koburg 
empfand dies selbst sehr lebhaft; bald nachdem er seinen kleinen Thron 
bestiegen hatte, schrieb er dem Oheim Leopold: „wir müssen wieder ehrlich 
deutsch werden,“ denn bisher haben wir uns meist nur als Verwandte 
der großen Höfe des Westens gezeigt, darum gilt Koburg für ein Nest 
undeutscher Ränke und ultraliberaler Ideen. Doch leider blieb es bei
	        
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