Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Graf Arnim in Posen. 151 
Mann stand nicht an, dem Könige seinen Irrtum zu bekennen. Bereits 
nach zwei Monaten berichtete er (14. Aug.): die Scheidewand zwischen 
Deutschen und Polen scheine doch weit schroffer, als er gedacht; „das 
Umlenken aus einer seit zehn Jahren verfolgten Bahn“ biete große 
Schwierigkeiten, da man die erprobten Werke jenes Jahrzehnts nicht um— 
stoßen wolle, und „Gott gebe, daß es nicht zu spät dazu ist.“ Hierzulande 
sei das Beamtentum alles, tüchtige Männer fehlten unter den Polen 
fast ganz, „die Aufrichtüng des gesunkenen Volkes“ lasse sich noch gar nicht 
absehen.)) Seitdem ward er wachsamer und begann nachzudenken über die 
Warnung des großen Friedrich: man darf den Polen keine Komplimente 
machen, das verdirbt sie nur. Aber noch bevor er sich in seinem schwie- 
rigen Amte ganz zurechtgefunden hatte, schon nach Jahresfrist, berief ihn 
der König auf einen Ministerposten. 
Durch so jähe Wechselfälle gewannen die polnischen Edelleute die 
tröstliche Uüberzeugung, daß keine starke Hand mehr das Steuer führte. 
An den Zwangsverkäufen ihrer Güter beteiligte sich der Staat nicht mehr, 
und freiwillig veräußerten sie nur noch selten eine Scholle an einen 
Deutschen; das Sprichwort kam auf: große Verräter verkaufen ihr Vater- 
land im ganzen, kleine morgenweise. Von den Volksschulen fürchteten 
sie auch nicht mehr viel, weil der König, um die römische Kirche ganz zu- 
frieden zu stellen, die Amter der Schulinspektoren häufig an polnische 
Priester übertragen ließ. Selbst das höhere Schulwesen hofften sie der- 
einst noch dem Polentum zu unterwerfen: war doch soeben ein polnischer 
Geistlicher zum Rektor des Posener Marien-Gymnasiums ernannt wor- 
den; und die Regierung hatte bewilligt, daß dort künftighin bloß polnisch, 
nur in den zwei obersten Klassen auch deutsch unterrichtet würde. Der 
König ahnte nicht, wie schwer er dadurch die gesellschaftliche Stellung 
seiner polnischen Schützlinge selber schädigte; ohne gründliche Kenntnis 
der deutschen Sprache konnte in Preußen ja längst niemand mehr zu irgend 
einer höheren bürgerlichen Wirksamkeit gelangen. Selbst ein polnischer Ju- 
gendbildungsverein, dessen eigentlicher Zweck keinem Deutschen in der Pro- 
vinz zweifelhaft blieb, wurde von der Regierung freundlich begünstigt. Nach 
alter Gewohnheit dankten die sarmatischen Edelleute der deutschen Schwäche 
durch Untreue und Verschwörungen. Daß diese Regierung mit Hochver- 
rätern streng umgehen würde, stand ja doch nicht zu befürchten: dem 
Landtagsabschied zuwider erhielten die warschauischen Offiziere allesamt 
bald nachher ihre verwirkten Pensionen wieder ausbezahlt. 
Zwar bestand, namentlich unter den reichen und bejahrten Grund- 
herren, eine kleine gemäßigte Partei, die auf das friedliche Erstarken des 
polnischen Volkstums hoffte. „Werden wir besser, gebildeter, reicher als 
die Deutschen“, so sagte Graf Eduard Raczynski, „dann sind wir die Herren 
  
*) Arnim, Bericht an den König, 14. Aug. 1841.
	        
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