Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

210 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
ihren Abscheu gegen alles Zensurwesen täglich lauter bekundete, verbiß 
sich diese Behörde in einen Kampf wider das freie Wort; ihre Urteile, 
die anfangs glimpflich gelautet hatten, wurden allmählich, zumal seit 
Bornemann wieder ausgeschieden war, immer härter, ja sie klangen 
zuweilen so unsinnig, daß sie den Vergleich mit den Taten des Badeners 
Uria wohl aushalten konnten. Bei dem liberalen Königsberger Buch— 
händler Voigt erschienen schon seit längerer Zeit heftweise, von der Zensur 
ungehindert, die „Materialien zur Regierungsgeschichte Friedrich Wil— 
helms IV.“, eine dem Historiker noch heute willkommene Tageschronik, 
welche die Ereignisse der preußischen Zeitgeschichte ohne jede Zwischenrede 
aufzählte; nur an der Auswahl des Stoffs sowie an einzelnen ironischen 
Redewendungen konnte man erraten, daß der Sammler wohl dem Kreise 
Schöns und Jacobys angehören mochte. Gegen dies Buch beantragte 
der Staatsanwalt beim Ober-Zensurgerichte ein Debitsverbot (1845) und 
bot damit dem Verteidiger Anwalt Crelinger die heiß ersehnte Gelegen- 
heit, eine Regierung, die sich also vor der Erzählung ihrer eigenen Taten 
fürchtete, mit siegreichem Hohne zu bekämpfen. Trotzdem wurde das Ver- 
bot ausgesprochen, einfach wegen der „entschieden hervortretenden feind- 
seligen Tendenz“ der Schrift, und der Staat mußte dem Verleger, da 
das Heft mit inländischer Zensur gedruckt war, eine Entschädigung zahlen. 
Crelinger aber wurde zur Strafe in einen kleinen Ort versetzt und nahm 
seinen Abschied. 
Und wie fruchtlos blieb alle diese Härte und Willkür. Zwar die 
Leipziger Allgemeine war gebändigt; sie lebte nach einigen Monaten unter 
dem Namen der Deutschen Allgemeinen Zeitung wieder auf, und ihr neuer 
Herausgeber, der als Zensor wohlbekannte Professor Bülau vermied ängst- 
lich jedes kecke Wort. Auch Arnold Ruge gewann das Ansehen, das er 
durch seine Jahrbücher erlangt hatte, niemals wieder — wesentlich durch 
seine eigene Schuld. Er ging nach Frankreich und vermaß sich, „ein an- 
deres Volk zu machen“, eine das Jahrhundert beherrschende, eine welt- 
gewinnende Literatur der Aufklärung zu erzeugen; auf die Männer der 
strengen Wissenschaft, auf „die Bildung der Herren Twesten, Trendelen- 
burg und Ranke“ sah er aus Himmelshöhen ebenso verächtlich hernieder 
wie auf den „reaktionären Idealismus“ Arndts und Jahns. Im Herzen 
blieb der grundehrliche Polterer noch immer der Jüngling von Rügen, 
wie seine Jugendfreunde ihn nannten; er war nicht eigentlich verbittert, 
das erlaubte seine Gutmütigkeit nicht, nur der Rausch der absoluten Kritik 
trieb ihn zur dialektischen Vernichtung alles dessen, was deutschen Herzen 
heilig ist. Vor nicht gar langer Zeit war Börne in den alten Jahrbüchern 
der schamlose Thersites des deutschen Volkes genannt worden; und jetzt 
gründete Ruge in Paris die „Deutsch-französischen Jahrbücher“, deren 
Schmähreden jenen älteren Thersites fast noch überboten. Da hieß es: 
„Der deutsche Geist, soweit er zum Vorschein kommt, ist niederträchtig,
	        
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