Friedrich Wilhelms Verhältnis zu seiner Zeit. 15
verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller
Verhältnisse, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht
Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königtums die ganze Lage
veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander
irgend verstanden hätten! Er aber hatte sich in einem seltsam verschlun—
genen Entwicklungsgange so eigentümliche Ideale gebildet, daß er zu—
weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchschnitts—
meinung der Zeitgenossen übereinstimmen konnte; er redete eine andere
Sprache als sein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunsche
aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Systems ein Ende bereitete,
und auch durch die Form seiner Reden schien er zu beweisen, daß niemand
sich völlig von seiner Zeit lossagen kann; denn ganz wie die Poeten
des jungen Deutschlands, die er so tief verabscheute, liebte er durch das
Ungewöhnliche zu blenden und verschmähte Schlichtes schlicht zu sagen.
Doch wenn er von Freiheit sprach, so meinte er sein althistorisches Stände—
wesen, das nur die Macht des Beamtentums, nimmermehr die mon—
archische Gewalt beschränken sollte, während seine Zuhörer an das Reprä—
sentativsystem dachten, das man allmählich für die einzige eines gesitteten
Volkes würdige Staatsform ansah. Wenn er die deutsche Einheit pries,
so dachte er an den Deutschen Bund und dessen friedliche Fortbildung, der—
weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eschenheimer Gasse schon
längst als einen gespenstischen Mummenschanz verurteilten. Wenn er
von der Selbständigkeit der Kirchen redete, so stimmte ihm jedermann
zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerstehen? — aber
die christliche Gesinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen
verlangte, war den Wortführern des Zeitgeistes völlig fremd, und alle die
edlen Stiftungen seiner großartigen Wohltätigkeit, die von ihren Pfleg-
lingen noch heute dankbar gesegnet werden, galten der Welt für Fröm-
melei und Muckerei. Wenn er der Kunst und Wissenschaft freie Bahn
versprach, so dachte er an die alte Naturphilosophie und die romantische
Dichtung, geistige Mächte, welche das selbstgefällige neue Geschlecht längst
überwunden zu haben glaubte.
So ward die erste Zeit seiner Regierung eine lange Kette von Miß-
verständnissen, und an dieser wechselseitigen Verkennung trug der König
ebenso viel Schuld wie die unklar gärende Zeitstimmung, die ihn erst
für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent-
täuschung zu bekämpfen. Selbst General Gerlach, der getreue Freund
und Diener, sagte zuweilen: „die Wege des Herrn sind wunderbar,“ und
der nicht minder ergebene Bunsen schrieb neben die Klage des Königs:
„niemand versteht mich, niemand begreift mich“ die verzweifelte Rand-
bemerkung: „Wenn man ihn verstände, wie könnte man ihn begreifen!“
Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie sein ebenso phantasiereicher bayri-
scher Schwager, durch despotische Härte und durchtriebene Schlauheit sich