Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

222 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
licher Stille zu bilden und zu dichten. Eine besondere Vorliebe hegte der 
König für den Schlesier August Kopisch, den fröhlichen Wanderer und 
Schwimmer, der einst die blaue Grotte von Capri entdeckt, auch dem Kron— 
prinzen in Neapel als Cicerone gedient und, halb Maler halb Poet, das 
geheimnisvolle Treiben der Kobolde und Heinzelmännchen, die glückselige 
Dummheit der deutschen Krähwinkelei, die Lust des Bechers und der Liebe 
in manchem schalkhaft anmutigen Gedichte besungen hatte. Der wurde 
jetzt im Hausministerium untergebracht und schrieb, lässig nach Künstler— 
weise, viele Jahre lang ein Buch über die Potsdamer Schlösser. 
Noch schlimmer fuhr der König mit dem jungen Ferdinand Freiligrath, 
der den Monarchen durch die funkelnde Pracht seiner Sprache bezaubert 
hatte und ein kleines Jahrgehalt angewiesen erhielt. Vor kurzem erst 
war Freiligrath den politischen Poeten entgegengetreten mit der schönen 
Mahnung: 
Der Dichter steht auf einer höh'ren Warte 
Als auf der Zinne der Partei — 
worauf ihm Herwegh dreist erwiderte: 
Ich hab' gewählt, ich habe mich entschieden, 
Und meinen Lorbeer flechte die Partei. 
Die Presse war aber bereits gewohnt, jeden der am preußischen Hofe aus- 
gezeichnet wurde, als einen Volksverräter zu brandmarken. Von allen 
Seiten wurde der „pensionärrische“ Poet mit gereimten und ungereimten 
Schmähungen beworfen; überall sang man die höhnischen Verse Hoff- 
manns v. Fallersleben: „wollte mir ein König geben Pension!“ Dieser 
albernen Entrüstung vermochte der erregbare Dichter nicht Trotz zu 
bieten; war er doch selbst, obwohl ein ganz unpolitischer Kopf, nach 
Anlage und Bildungsgang ein radikaler Schwarmgeist. Nach zwei 
Jahren schon fühlte er sich gedrungen, die Annahme des Jahrgelds zu 
verweigern, und fortan sang er selbst Zeitgedichte im Geiste der wildesten 
Opposition. Seltsam doch, wie unsicher und schwächlich die allseitige 
Empfänglichkeit des Königs sich oft zeigte. Die sentimentale Novelle 
Godwie Castle der ehrbaren Frau Henriette Paalzow fand bei Hofe 
unbegrenzte Bewunderung; auch der orthodoxe Pastor Wilhelm Meinhold 
erfreute sich der königlichen Gnade, ein abgesagter Feind der modernen 
„Vieh-Philosophie“, der in einem manierierten, altertümelnden Romane 
„die Bernsteinhexge“ einen scheußlichen Stoff aus der Zeit der Hexenver- 
brennungen nicht ohne realistisches Talent, aber roh und fanatisch dar- 
gestellt hatte. Ungetrübte Freude wurde dem Könige, bei allem, was er 
hochherzig zur Förderung der deutschen Poesie unternahm, eigentlich nur 
einmal: als er die edle Begabung Emanuel Geibels erkannte und dem 
Dankbaren durch gütige Unterstützung über einige bedrängte Jugendjahre 
hinweghalf. 
Ein Musenhof nach dem Vorbilde Rheinsbergs oder Weimars, wie
	        
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