Berliner Gesellschaft. 223
ihn der König sich zuweilen erträumte, konnte unter solchen Umständen nicht
entstehen. An Talent und Bildung war kein Mangel. Auf der Cantian—
straße nahe den Museen, in dem berühmten braunen Saale des General—
direktors v. Olfers versammelte sich allwöchentlich ein dichter Kreis von
Künstlern, Gelehrten, Kennern, liebenswürdigen Frauen; die Hausfrau,
Stägemanns Tochter Hedwig, brachte jedem ein freies menschliches Ver—
ständnis entgegen und erweckte in der Gesellschaft eine Stimmung fröhlichen
Behagens; sie wußte, wie ihre Töchter und der gelehrte Schwiegersohn
Geh. Rat Abeken, alle die Feindschaft, die unter so vielen bedeutenden
Männern nicht fehlen konnte, durch leichte Anmut niederzuhalten. In
den unscheinbaren Salons des greisen Fräuleins Solmar fanden sich noch
die letzten Vertreter einer älteren, bereits versinkenden literarischen Epoche
zusammen. Und so gab es noch überall in der Hauptstadt einfache gast—
liche Häuser, wo bei Butterbrot und Tee eine geistreiche, oft allzu geist—
reiche Geselligkeit blühte: die jungen Rheinländer erfreuten sich meist der
besonderen Gunst der Berliner Damen, weil sie als frische Naturburschen
von den klugen Norddeutschen wohltätig abstachen. Aber all dies reiche
Leben bewegte sich ganz selbständig, ohne jede Fühlung mit dem Hofe.
Keiner der berühmten Neuberufenen trat dem Monarchen wirklich
nahe; er sprach mit ihnen gelegentlich, immer gütig und geistvoll, doch
sein zerstreuter, unruhiger Sinn mochte nicht lange bei den einzelnen ver—
weilen. Bequemer als diese Größen war ihm eigentlich der vielbelesene
Salon-Historiker Alfred v. Reumont, ein ultramontaner Diplomat, der,
trotz seiner spaßhaften Häßlichkeit immer elegant und zierlich, allerhand
literarische Leckerbissen nicht ohne Gewandtheit aufzutragen wußte. Auch
wurde die Zeit doch zu ernst für eine poetisch-philosophische Tafelrunde:
Friedrich war im Innern seines Staats der unangefochtene Herr gewesen,
den Nachfolger bedrohten schwere politische und kirchliche Kämpfe, die ihm
die unbefangene Freude an der Welt der Ideale störten.
Schon längst empfand er es als einen Widerspruch im deutschen
Leben, daß die Künstler und Gelehrten in keiner anderen Nation eine
so bescheidene soziale Stellung einnahmen wie in dem Volke der Dichter
und der Denker. Er wußte wohl, wie wenig alle äußeren Auszeichnungen
das ideale Schaffen selbst fördern; doch er hielt sie, wie sein Humboldt,
für unentbehrlich, um das banausische Publikum auf die Würde der geistigen
Arbeit hinzuweisen — zumal in diesem eiteln Jahrhundert, das, trotz seiner
Freiheitsreden, nach Rang und Titeln so begehrlich trachtet wie kein
anderes Zeitalter seit dem Untergange des Byzantinerreichs. Selbst die
Radikalen fühlten sich beschämt, und Hoffmann von Fallersleben sang
ein bissiges Lied auf „Deutschlands Schmach und Schande“, als der
bejahrte Jakob Grimm in diesen Togen seinen ersten Orden erhielt —
und dieser Orden war das Kreuz der Ehrenlegion, das Guizot dem von
allen deutschen Fürsten Vergessenen übersandte, um im Namen des