228 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
doch ihr Wesen aufgehoben wird, und geriet daher in mystische Phantasie—
spiele, die um so rätselhafter klangen, weil der Philosoph den Gedanken—
bau seines Systems ersichtlich noch nicht abgeschlossen hatte. Der gute
Steffens, der bis zum Tode die Gabe behielt, alles zu begreifen, was er
begreifen wollte, bemühte sich umsonst, den jüngeren Genossen die Worte
des Meisters zu erklären. Das neue Gelehrtengeschlecht besaß schon den
schönen Mut der Unwissenheit, dessen die voraussetzungslose Wissenschaft
bedarf; der junge Historiker W. Wattenbach erwiderte dem schwärmenden
Naturphilosophen ehrlich: ich habe gar nichts verstanden.
Unterdessen rüstete sich Schellings nächster Landsmann, sein Tod—
feind Paulus in Heidelberg zu einem vernichtenden Schlage. Er ließ die
Vorlesungen insgeheim nachschreiben und gab sie plötzlich in einem dicken
Bande heraus als „die endlich offenbar gewordene positive Philosophie
der Offenbarung“ (1843); in einem Schwall polemischer Zusätze entfaltete
der greise Rationalist die ganze Fülle seines Hohnes, seiner geschwätzigen
Plattheit. Es war ein Bubenstreich, ohne Beispiel selbst in der wenig
zarten Geschichte deutscher Gelehrtenkämpfe. Mit welcher heiligen Ent-
rüstung war vor kurzem Hävernicks Berufung von den Liberalen gebrand-
markt worden, weil dieser einst als junger Student einige Sätze aus
den Kollegien der Hallenser Rationalisten an die Kirchenzeitung verraten
hatte. Jetzt stahl ein welterfahrener, zweiundachtzigjähriger Professor einem
Kollegen ein ganzes Heft, in der denkbar gehässigsten Absicht, um den
Gegner sittlich zu vernichten; und fast die gesamte liberale Presse nahm
Partei für den Dieb; Varnhagen jubelte und Heine feierte im Liede den edlen
Räuber Kirchenrat Prometheus. Zu solcher Roheit war der Parteihaß
schon angeschwollen. Schelling klagte wegen Nachdrucks; er meinte, der
verstockte alte Sünder könne nur noch durch eine Geldstrafe empfindlich
getroffen werden. Der aber erwiderte keck, sein Buch sei kein Nachdruck, son-
dern ein Vordruck; und das Berliner Gericht sprach ihn frei, denn der Wort-
laut des Gesetzes war nicht ganz unzweideutig, auch ließ sich eine gewinn-
süchtige Absicht dem Angeklagten nicht zutrauen. Sicherlich wirkte aber
auch eine unbewußte Parteilichkeit bei dem seltsamen Urteile mit; die
vordem der öffentlichen Meinung so unzugänglichen preußischen Gerichte
wurden jetzt schon leise in das liberale Fahrwasser hinübergetrieben, in
den politischen Prozessen mehrten sich die Fälle unerwarteter, ja rätsel-
hafter Freisprechungen. Aufs äußerste überrascht erklärte Schelling nun-
mehr, wenn die Regierung ihn nicht schütze, so könne er nicht mehr lehren,
und zog sich vom Katheder zurück. Also blieb auch diese Berufung, woran
der König sein Herz gehängt hatte, ohne jede Frucht.