230 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
bergs fränkischer Schule gehörte; wenn die Geister aufeinander platzten,
so wartete er meist gemächlich ab, welche Kraft sich als die lebendige er—
weisen würde, und eigentlich nur bei der Begünstigung der Hegelschen
Philosophie zeigte er sich als wissenschaftlicher Parteimann. Von dieser
weltmännischen Gelassenheit Altensteins besaß Eichhorn gar nichts, ein
ganzer Gelehrter wie Humboldt war er auch nicht; im Umgang mit seinen
wissenschaftlichen Freunden hatte er sich jedoch eigentümliche Ansichten
über Geist und Methode des akademischen Unterrichts gebildet, und diese
unfertigen, halbgereiften Gedanken wollte er jetzt den gelehrten Republiken
als bindende Vorschriften ebenso herrisch auferlegen, wie er einst im Aus—
wärtigen Amte seinen Diplomaten Befehle erteilt hatte. Also verfiel
auch er dem Fluche dieser Regierung, dem Dilettantismus. In den
Zollvereinsgeschäften, die er von Grund aus beherrschte, hatte der beweg—
liche kleine Mann seine natürliche Lebhaftigkeit immer gebändigt, so daß
manche der törichten kleinen Regierungen allein durch seine überlegene
Geduld gewonnen wurde; auf dem neuen Boden aber fühlte er sich nicht
ganz sicher und wurde heftig, reizbar, rechthaberisch. Das schöne Ver—
hältnis gegenseitigen Vertrauens, das unter Altensteins gütigem Regi—
mente so lange zwischen dem Ministerium und den Universitäten be—
standen hatte, verschwand binnen kurzem gänzlich, und die Gelehrten
begannen bald ihren Vorgesetzten als einen herrschsüchtigen Schulmeister
zu beargwöhnen.
Auf diesem Gebiete verlor Eichhorn, was sein Vorgänger gewonnen
hatte; in der Kirchenpolitik dagegen trat er eine sehr schlimme Erb—
schaft an, und was ihm hier mißriet, ward mehr durch die Ungunst
der Verhältnisse verdorben als durch seine eigenen Fehler. Aufgewachsen
im strengen Luthertum, aber ein überzeugter Anhänger der evangelischen
Union, dachte er über die Fragen der Kirchenhoheit freier, tiefsinniger,
weitherziger als Altenstein. Die Aufsicht des Staates über die katholische
Kirche wollte er auf das Unerläßliche beschränken, und für die Selbständig—
keit der evangelischen Kirche, für die Reform ihrer Gemeinde= und Syno-
dalverfassung hegte er seit Jahren wohlüberlegte Pläne, die sich erst nach
einem Menschenalter ganz verwirklichen sollten. Doch solange die alten
Gesetze und die oberstbischöflichen Befugnisse der Krone noch bestanden,
hielt er sich gleich seinem Vorgänger auch verpflichtet, das innere Leben
der evangelischen Kirche im evangelischen Sinne zu überwachen. Da er
nun der neuen theologischen Kritik weit ferner stand als Altenstein und,
hierin ganz Parteimann, die Hegelsche Philosophie noch lebhafter verab-
scheute, als jener sie begünstigt hatte, so verwickelte er sich bald in
Glaubensprozesse und Lehrverfolgungen, die seinen eigentlichen Absichten
widersprachen und seinen Namen mit einem ungeheueren Hasse beluden.
Von den persönlichen Freunden des Königs, von Bunsen wie von
Radowitz wurde Eichhorn mit stillem Mißtrauen betrachtet; unter den