Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

242 V. 3 Enttäuschung und Verwirrung. 
Währenddem arbeiteten zahlreiche Federn an den neuen Lehrplänen, 
niemand eifriger als der Westfale D. W. Landfermann, Eilers Nachfolger 
in der Koblenzer Schulratsstelle, ein urkräftiger Teutone, der als Burschen- 
schafter schwere Verfolgungen erlitten hatte, im Unterrichtswesen gründlich 
erfahren, in der Politik gemäßigt liberal, aber wegen seines kirchlichen Ernstes 
ganz mit Unrecht als Pietist verrufen. Viele Jahre hindurch war der Um- 
schwung des religiösen Lebens in den Schulen so gänzlich unbemerkt geblieben, 
daß der streng kirchlich gesinnte Karl Ritter, der große Schüler Schnepfen- 
thals noch lange mit seinen Pestalozzischen Lehrern vertraulich verkehrte, 
ohne den inneren Gegensatz zu empfinden. Jetzt schieden sich die Geister; 
man begann einzusehen, daß die Wahrheiten des Christentums Kindern 
nur in der konkreten Form eines bestimmten Bekenntnisses überliefert 
werden können. In diesem Sinne waren Landfermanns Reformvor- 
schläge gehalten. Ohne die Schule der kirchlichen Obrigkeit zu unter- 
werfen, wollte er doch die Schulmeister auf das Bekenntnis ihrer Kirche 
verpflichten, der Bibel und dem Gesangbuch wieder ihr gutes Recht ein- 
räumen, eine nicht übermäßige Anzahl von Bibelsprüchen und Kirchen- 
liedern den evangelischen Kindern gründlich einprägen lassen, damit das 
junge Geschlecht wieder bibelfest würde und in das zerstreuende moderne 
Leben einen bleibenden Schatz der Erbauung mit hinübernähme. 
Doch alle diese Entwürfe blieben unausgeführt in dem Wirrwarr kirch- 
licher Kämpfe, der den Minister umtobte; man hörte nur zuweilen von Maß- 
regeln notwendiger Strenge gegen einzelne radikale Lehrer. Sie genügten, 
um das einmal feststehende Urteil über Eichhorns Verfolgungssucht zu be- 
kräftigen; und dies Urteil gelangte überall zur Herrschaft, als Diesterweg 
selbst dem neuen Systeme weichen mußte. Die Leitung des Hauptseminars 
konnte ein Mann, der den konfessionslosen Religionsunterricht erstrebte, 
unter dieser Regierung nicht mehr behalten. Aber Diesterwegs fleckenloser 
Charakter, seine untadelhafte Amtsführung, seine großen Verdienste er- 
heischten Schonung; die jetzt unvermeidliche Versetzung konnte sehr wohl in 
solchen Formen geschehen, daß er sich persönlich nicht verletzt fühlte; selbst 
Eilers meinte, man dürfe ihn doch nicht bestrafen wegen einer Gesinnung, 
die ihm unter Altenstein Dank und Ehren eingebracht hatte. Leider wollte 
der König von Schonung nichts hören; er verabscheute Diesterweg als 
einen Mann des Unglaubens und empfand es als eine persönliche Be- 
leidigung, daß der Seminardirektor auf einer großen Berliner Lehrerver- 
sammlung fast wie ein rationalistischer Gegenminister verherrlicht wurde. 
Als Diesterweg nach Pestalozzis hundertjährigem Geburtstag um Unter- 
stützung für ein ländliches Erziehungshaus nachsuchte, da schlug der König 
die Bitte vorläufig ab, mit der ungnädigen Bemerkung: bei der Feier 
habe sich ein dem frommen Sinne des Gefeierten durchaus fremder Geist 
offenbart. Bald darauf, im Frühjahr 1847 wurde Diesterweg an eine 
Blindenanstalt versetzt. Da er dieser Zumutung unmöglich entsprechen
	        
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