Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Der Schwanenorden. 247 
hatten nur Spott dafür. Fliedner brachte die ersten Diakonissen nach 
Berlin, Wichern erhielt preußische Brüder für sein Rauhes Haus zuge— 
sendet, beide wurden oft um Ratschläge und Gutachten angegangen?), 
und freudig versprach Eichhorn seine Unterstützung für die Pläne der 
inneren Mission. 
Dem Könige genügte das nicht. Um den christlichen Charakter seiner 
Regierung feierlich zu bekunden, wollte er alle die Vereine, welche „das 
Christentum durch Leben und Tat bewiesen“, zu einer großen monar- 
chisch geleiteten Gesellschaft verbinden. Darum beschloß er den längst ver- 
schollenen Schwanenorden zu erneuern, eine freie geistliche Genossenschaft, 
welche sein Ahnherr Kurfürst Friedrich II. vor gerade vierhundert Jahren 
gestiftet hatte. Romantische Erinnerungen an die schönen Grabsteine der 
Schwanenritter in der Ansbacher Stiftskirche und an die prächtige Kapelle 
der geistlichen Adelsbrüderschaft zu Haßfurt mochten dabei wohl mitwirken. 
Zu Weihnachten 1843 verkündete er diese Absicht in einem hochpathetischen 
Patente, dessen altertümlich klingende Sätze er mit Eichhorn und Thile 
vereinbart hatte; der Thronfolger wurde erst nachträglich unterrichtet, offen- 
bar weil man seine nüchterne Kritik fürchtete.“) König und Königin über- 
nahmen das Großmeistertum des wiederhergestellten Ordens und hofften 
auf den Zutritt von „Männern und Frauen ohne Unterschied des Standes 
und Bekenntnisses“. Wie dieser Eintritt erfolgen, wie die bestehenden 
Vereine sich dem Orden angliedern sollten, darüber sagte das Patent nichts. 
Der edel gedachte Plan war leider nur ein unreifer Einfall, so nebelhaft, so- 
gestaltlos, daß selbst Wichern meinte, man müsse die Idee des Schwanen- 
ordens erst ins Deutsche unserer Tage übersetzen, und er erregte einen 
Sturm der Entrüstung in der öffentlichen Meinung. Nun schien es doch 
klar erwiesen, daß die Christlichkeit dieses Hofes allein einer phantastischen 
Schrulle entsprang. Ein mittelalterlicher Orden und noch dazu als höch- 
stes Ordenszeichen das Bild der heiligen Jungfrau über dem Schwane 
an goldener Kette hängend: — das vermochten die aufgeklärten Berliner 
nicht zu ertragen. Der Hohn und der Abscheu sprachen sich überall kräftig 
aus; weder Katholiken noch Protestanten konnten sich mit der seltsamen 
Stiftung befreunden. Sogar Bunsen wurde jetzt bedenklich; und er hatte 
vor kurzem noch diesen Orden schwärmerisch begrüßt als eine christliche 
Zentralgewalt, welche Rom vernichten müsse. Da verlor der König den 
Mut und gab den Schwanenorden stillschweigend auf. 
Nur einige der großen Stiftungen, die er unter seinem Orden hatte 
vereinigen wollen, kamen zu stande, obgleich die öffentliche Meinung, wie 
General Thile selbst gestand, „dem spezifisch christlichen Geiste“ dieser An- 
  
*) Wichern, Denkschrift über das Kloster zum Heiligen Grabe, 1844 usw. 
*“) König Friedrich Wilhelm an Thile, 19. Dez. Thile an den Prinzen von Preußen, 
27. Dez. 1843.
	        
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