252 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Flehentlich beschwor Gerlach die Krone, daß sie sich an den Lärm
nicht kehren möge: „Weicht man vor dem dreisten Geschrei der Zeitungen
in dieser Sache zurück, bei welcher der König persönlich so beteiligt ist,
ja scheint es auch nur so — so wird die schlechte Presse durch so ekla—
tante Siege auf eine Weise ermutigt werden, deren Folgen sich nicht
berechnen lassen.“ In gleichem Sinne sprach Savigny; er ahnte tief be-
wegt, daß seine ganze Wirksamkeit gefährdet war, wenn sein erster großer
Gesetzentwurf scheiterte.') General Boyen hingegen konnte sich des Ein-
drucks nicht erwehren, daß aus den verworrenen, leidenschaftlichen Zorn-
reden der Opposition doch auch ein gesundes protestantisches Gefühl sprach;
es war ja der Unsegen dieser Regierung der Mißverständnisse, daß fast
bei jedem Streite beide Teile recht hatten, und trotz seiner altväte-
rischen Frömmigkeit blieb der greise Kriegsmann immer in Fühlung mit
den Kantianern seiner ostpreußischen Heimat. Er hielt sich verpflichtet,
den geliebten König zu warnen, „da ich, so wahr als Gott über mir ist,
die Wendung, welche die Sache in der öffentlichen Meinung genommen
hat, für höchst bedenklich ansehe“. Dann hielt er in seiner herzgewinnen-
den, patriarchalischen Sprache dem Monarchen vor, daß die Erschwerung
der Ehescheidungen doch nicht überall die Sittlichkeit fördere: „Zu einer
vollständigen christlichen Ehe gehört auch häuslicher Friede und vor allem
christliche Kinderzucht, und wo diesem beharrlich von einer Seite entgegen-
gewirkt wird, da ist — Ehebruch.“ Nach einer langen erbaulichen Erör-
terung mahnte er schließlich den König an das Beispiel Friedrichs des
Großen, der auf den Wunsch einzelner Gemeinden die Einführung eines
Gesangbuchs zurückgenommen und „dabei in wahrhaft christlichem Sinne
gehandelt habe“. Im ersten Augenblicke fühlte sich Friedrich Wilhelm schwer
betroffen durch die Warnungen „des lieben, treuen Mannes“.*) Auf
Savignys Andringen beschloß er jedoch endlich, den Entwurf, den schon
im Staatsministerium Graf Arnim lebhaft angegriffen hatte, zu er-
neuter Prüfung dem Staatsrate vorzulegen.
Fünf Monate hindurch verhandelte der Staatsrat nunmehr, seit
dem Januar 1843, über das Gesetz. Die Beratungen wurden bald so
stürmisch, daß der greise Vorsitzende General Müffling die Streitenden
kaum im Zaume halten konnte, obgleich der König persönlich manchen Sit-
zungen beiwohnte und seine Vorliebe für den Entwurf deutlich zu erkennen
gab.)In vielem einverstanden, erklärte selbst der Prinz von Preußen
die Verkündigung eines so unbeliebten Gesetzes für hochgefährlich. Am
eifrigsten bekämpfte Präsident Scheller den Entwurf, ein Harzer, der einst
*) Gerlach an Thile, 21. Nov. Thiles Bericht an den König, 22. Nov. 1842.
**) Boyens Denkschrift über das Ehegesetz, Dez. 1842. König Friedrich Wilhelm
an Thile, 22. Dez. 1842.
**) Savigny an Thile, 23. Dez. 1842.
f) Nach Kühnes Aufzeichnungen.