Das Ehescheidungsgesetz. 253
als Richter in den westlichen Provinzen das rheinische Recht und das
öffentliche Verfahren schätzen gelernt hatte. Er ließ es sich nicht verdrießen,
zweimal wöchentlich mit der Post von Frankfurt zu den Sitzungen hin—
überzufahren; und es war ein Zeichen der Zeit, wie er und Gerlach sich
miteinander maßen, beide gleich würdige Vertreter des altpreußischen
Richterstandes, gelehrt, freimütig, beredt, beide, der Liberale wie der
Romantiker, fest davon überzeugt, daß sie für die wahre Freiheit kämpften,
und doch so grundverschieden in ihrer ganzen Weltanschauung. Scheller
verlangte zum mindesten, daß die Zahl der Scheidungsgründe nicht all—
zusehr beschränkt würde, damit der Richter der Mannigfaltigkeit der
Lebensverhältnisse, die sich gerade in häuslichen Händeln überall aufdrängt,
einigermaßen gerecht werden könne. Er wagte sogar zu behaupten, Ein—
heit des Eherechts sei erst möglich, wenn man die bürgerliche Eheschließung
einführe. Der beste Beweis für diese Ansicht, die in den alten Provinzen
noch als ketzerisch galt, lag in dem neuen Gesetze selber: der Entwurf
sollte bürgerliches Recht enthalten und gab doch Ausnahmevorschriften
für die geschiedenen Katholiken, deren Trauung den Geistlichen aller Be—
kenntnisse untersagt wurde.
Mittlerweile fuhren die liberalen Zeitungen in ihren Zornreden fort,
und Gerlach hielt für nötig, daß auch seine orthodoxen Gesinnungsge-
nossen ihre Stimme erhöben. Unter der Hand ließ er seine Freunde
wissen, der König würde sich freuen, wenn die Gläubigen für das christ-
liche Eherecht einträten; und nicht lange, so wurden, vornehmlich von pom-
merschen Geistlichen, zahlreiche Bittschriften eingesendet, welche die Annahme
des Entwurfs empfahlen. Als aber der Prinz von Preußen erfuhr, wie man
den Namen des Monarchen mißbraucht hatte, da wallte sein fürstliches
Selbstgefühl hoch auf, und in einer Sitzung des Staatsrats stellte er
den pommerschen Bischof Ritschl, der selbst allerdings an diesen Umtrieben
nicht teilgenommen hatte, zornig zur Rede; er verlangte strenge Unter-
suchung und schrieb dem Bruder: „ich hoffe, daß du Ernst zeigen wirst.)“
Nun kam Gerlachs Mitschuld bald zu Tage; der Heißsporn der Romantik
konnte sich im Ministerium nicht mehr halten und wurde, nachdem man
noch eine Weile gezaudert, im April 1844 unter allen Zeichen königlicher
Gnade als Präsident des Oberlandesgerichts nach Magdeburg versetzt.
Zur selben Zeit lag auch der Gesetzentwurf endlich fertig vor; er
war im Staatsrate wesentlich gemildert und gleichwohl von der Mehrheit
nur ungern angenommen worden, von einzelnen wohl nur aus Ehrfurcht
vor dem Könige. Kühne, einer der heftigsten Gegner des Gesetzes, sagte
grimmig: ein dicker, stickender Nebel der Heuchelei und der Beängstigung
lag über den Verhandlungen. Jetzt erst erhob sich die peinlichste Frage.
*) Eichhorn an Oberpräsident v. Bonin in Stettin, 29. März; Prinz von Preußen
an den König, 2. April 1843.