Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

260 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
den Landständen die hohe Mißbilligung des Monarchen aus und drohte: 
die Posener Stände würden nicht mehr regelmäßig versammelt werden, 
wenn es sich zeigen sollte, daß die in der Adresse ausgesprochenen Ge— 
sinnungen nicht bloß von einer Partei, sondern von dem Landtage selbst 
gehegt würden. Zar Nikolaus zeigte sich hoch erfreut und ließ dem 
Schwager sagen: nun würde er doch wohl Rußlands polnische Politik 
milder beurteilen.) 
In Posen aber erbitterte die Antwort nur ohne zu schrecken, denn 
niemand traute dem gutherzigen Könige zu, daß er seine Drohung aus- 
führen würde. Unbelehrt erging sich der Landtag nach wie vor in törichten 
Beschwerden und verlangte sogar die Errichtung einer Universität in 
Posen; die Absicht ließ sich leicht erraten, denn bisher hatte in Breslau 
wie in Berlin immer nur ein winziges Häuflein Polen studiert. Der 
neue Oberpräsident v. Beurmann trat, die Formen schonend, doch etwas 
fester auf als vor ihm Graf Arnim und gestand dem durchreisenden 
Zaren offen: seit er die Polen kennen gelernt, sehe er wohl ein, daß 
man sie nur mit Strenge beherrschen könne.*) Durch die Gutmütigkeit 
des Monarchen sah er sich jedoch überall gehemmt. Der polnische Adel 
merkte, was er sich unter dieser Regierung erlauben durfte; seine Kasinos 
und Leseklubs mehrten sich von Jahr zu Jahr; in den Agronomischen 
Vereinen suchte er sich den polnischen Bauern wieder zu nähern; sein 
Jagdklub veranstaltete in den weiten Wäldern Reit= und Schießübungen, 
und jeder der Genossen wußte, daß er sich rüsten sollte für den ersehnten 
Tag der Deutschenjagd. — 
Da die Regierung mit dem Beraten und Planen nie zu Ende kam, 
so vermochte sie den Provinziallandtagen nur ein wichtiges allgemeines 
Gesetz vorzulegen, das schon unter Kamptzs Leitung entworfene und seit- 
dem wieder mehrfach umgearbeitete Strafgesetzbuch. Und was konnte aus 
der achtfachen Besprechung eines so umfangreichen und bedeutsamen Ge- 
setzes anders hervorgehen als ein verwirrendes Durcheinander subjektiver 
Ansichten? Sehr mächtig zeigte sich die philanthropische Gefühlsseligkeit 
der liberalen Theorie, die zu den rüstigen Lebensgewohnheiten dieses Volkes 
in Waffen doch gar nicht stimmte; die allerdings strengen Strafen des 
Entwurfs fand man grausam, und schon forderten zahlreiche Stimmen 
die Abschaffung der Todesstrafe. Das eigentliche Hindernis der Verständi- 
gung bildete jedoch der veraltete Kriminalprozeß. Einführung der Schwur- 
gerichte und des öffentlich-mündlichen Verfahrens war jetzt der allgemeine 
Wunsch der liberalen Welt, und mindestens die letztere Forderung erkannte 
auch Savigny als berechtigt an; aber während der Minister die schwierige 
Reform bedachtsam vorbereitete, wurden die Provinzialstände von dem 
  
*) Liebermanns Bericht, 23. März 1843. 
*“) Liebermanns Bericht, 23. Okt. 1843.
	        
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