Partikularismus des Rheinischen Landtags. 261
Strome der öffentlichen Meinung fortgerissen, da sie ja als bloß be—
ratende Körperschaften gar keine Verantwortung trugen. Der preußische
Landtag erklärte kurzab: die Reform des materiellen Strafrechts sei erst
möglich, wenn zu gleicher Zeit das Strafverfahren umgestaltet würde, und
die nämliche Ansicht ward auch auf anderen Landtagen laut.
Nur die Rheinländer gingen ihres eigenen Weges; verwöhnt durch
die unerschöpfliche Nachsicht der Regierung, wollten sie auch jetzt noch an
ihrem ausländischen Sonderrechte festhalten. Offenbar sühnte die Krone nur
eine alte schwere Unterlassungssünde, indem sie endlich das Strafgesetzbuch
vorlegte; denn ohne Einheit des Strafrechts kann auf die Dauer weder ein
geordneter Staat bestehen noch ein starkes politisches Gemeingefühl sich
ausbilden; das Gewissen des Volks mußte irr werden an allem Rechte,
wenn im Rheinlande andere Strafen verhängt wurden als in Westfalen.
Kein denkender Mann am Rhein durfte sich dieser Einsicht verschließen,
und zum Überfluß hatte der König mehrmals feierlich versichert, daß er
der Provinz ihr hergebrachtes Gerichtsverfahren unter allen Umständen
erhalten würde. Es bestand also gar kein vernünftiger Grund zu einem
Kampfe wider das neue Strafgesetzbuch, das in vielen Bestimmungen
milder, menschlicher war als der harte Code pénal. Aber die Legende, daß
die Freiheit des Rheinlands mit dem rheinischen Rechte stehe und falle,
stand schon unumstößlich fest. Einstimmig beschloß der Düsseldorfer Landtag
die Krone zu bitten: sie möge für das Rheinland allein ein neues Straf-
gesetzbuch auf Grund des Code Napoléon ausarbeiten lassen. Die Bitte
war nicht allzu schlimm gemeint, sie entsprang unwillkürlich dem naiven
Sondergeiste der Provinz; doch sie klang fast ebenso staatsfeindlich wie die
Adresse des Posener Landtags, und das Argernis verschlimmerte sich noch,
als die Stände, ihres Beschlusses froh, am 4. Juli ein großes Festmahl
veranstalteten. Da ward in der Lust des Weines keck, fast höhnisch aus-
gesprochen, diese Feier gelte dem Siege des rheinischen Rechts über das
preußische, und nach einem heftigen Wortwechsel verließ der Oberpräsident
v. Schaper samt den übrigen Beamten den Festsaal.
Der König war empört über „diese unanständigen Auftritte“; es
wurmte ihn gar zu tief, daß gerade die Polen und die Rheinländer, die
er doch neben den Altpreußen stets bevorzugt hatte, sich ihm widersetzten.
Im ersten Zorne ließ er (18. Juli) eine Kabinettsordre veröffentlichen,
welche das Beamtentum vor der Teilnahme an solchen wertlosen De-
monstrationen warnte: sie sind nur im stande Lärm zu erzeugen, ohne
irgend einen Einfluß auf die Sache, auf Meine Entschließung und auf
den Gang Meiner Regierung üben zu können.“ Die Rheinländer nahmen
diese Rüge sehr übel auf; nach Landesbrauch konnten sie gar nicht be-
greifen, warum man die beim Becher gesprochenen Worte so auf die Gold-
wage legte; und nun wurden ihnen auch noch die Freudenfeste, die sie für
ihre heimkehrenden Abgeordneten vorbereitet hatten, durch die Behörden