Sedlnitzkys Abdankung. 293
Erfahrungen zog und — dererste katholische Bischof seit dem Zeitalter der
Reformation — mit der Gemeinde zum evangelischen Abendmahle ging
(1862), da erregte dieser Übertritt außerhalb der theologischen Welt nur
wenig Aufsehen. Ein frommer Christ, ein treuer Patriot, ein liebens-
werter Mensch, aber kein Mann der bahnbrechenden Tat — so war
er immer gewesen. Mit warmer Teilnahme, ohne jede Bitterkeit ge-
dachte er auch fernerhin der alten Kirche, die ihn einst in seinem zwölften
Lebensjahre zum Domherrn geweiht und dann so rauh behandelt hatte,
den Evangelischen aber ward er teuer als ein Vorbild ernster tief inner-
lich erlebter Frömmigkeit und durch ein Fülle milder Stiftungen, in denen
sein Name noch heute gesegnet fortlebt.
Nachdem der König diesen Mann so schnell hatte fallen lassen, be-
fahl er auch noch die Verhandlungen wegen der geraubten evangelischen
Kirchen sofort einzustellen. Was konnte es unter solchen Umständen
frommen, daß Brühl beauftragt wurde, für die eigenmächtige Verdrängung
Sedlnitzkys unzweideutige Genugtuung zu fordern? Einige erregte Ge-
spräche mit Lambruschini waren die einzige Folge. Das Verweseramt in
dem erledigten Bistum übernahm nunmehr, von der Krone nicht an-
erkannt), aber geduldet, der Domherr Professor Ritter, ein wilder
Ultramontaner, der den Christen nur die Wahl ließ zwischen Rom und
Fr. David Strauß, und soeben in einer Schrift Irenikon kurzab be-
hauptet hatte, die Kirche stehe über dem Staate. Da galt es denn die
Neuwahl zu beschleunigen. Der Papst mahnte dazu, ohne bei der Krone
anzufragen, und der König in seiner unerschöpflichen Gutmütigkeit ge-
stattete dem Kapitel für diesmal, eine Kandidatenliste aufzustellen, was
allem Recht und Brauch zuwiderlief.**) Zum Danke erlaubten sich die
Domherren ein schmutziges Ränkespiel, wie es nur unter Klerikern möglich
ist, und nannten schließlich nicht weniger als zwölf Kandidaten, von denen
die Mehrzahl dem Domkapitel selbst angehörte; die hochwürdigen Kon-
fratres hatten einander also wechselseitig gewählt.“*) Nun endlich begann
Graf Brühl, der die Breslauer Verhältnisse genau kannte, Unrat zu
wittern. Er fürchtete nicht gerade einen neuen Gewaltstreich des Papstes,
„weil es weit mehr im Geiste der hiesigen Politik liegt, in eine unbewachte
Offnung hineinzuschleichen, als keck Bresche zu legen und sie mit Gewalt
zu erstürmen.“ Doch wenn das Kapitel sich nicht rechtzeitig einigte, so
konnte der Papst nach dem Rechte der Devolution selber den Bischof er-
nennen, und was ließ sich dann wieder erwarten? Darum riet Brühl
dringend, die Krone müsse jetzt Ernst zeigen: mündliche Verhandlungen
mit den einzelnen Domkapitularen nützen gar nichts, sie werden einfach
*) Kabinettsordre an Eichhorn, 19. Dez. 1840.
**) Gregor XVI., Breve an das Breslauer Domkapitel, 21. Nov. 1840; Kabinetts-
ordre an Eichhorn, 24. Febr. 1841.
**) Eichhorns Bericht an den Konig, 15. April 18141.