Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

296 V. 4. Die Parteiung in der Kirche. 
Treiben der Klerikalen zu decken, hatte auch die Regierung selbst oftmals 
unsaubere Mittel angewendet. 
Der neue Kölner Koadjutor Johannes Geissel teilte, wie die ge— 
ängsteten Domherren richtig gewittert hatten, durchaus die Gesinnungen 
Drostes; nur war er klüger, jünger, gewandter und darum für diese 
schwache Staatsgewalt weit gefährlicher. Er hatte schon in jungen Jahren 
an dem Mainzer „Katholiken“, der ersten Zeitschrift der wiedererstehenden 
ultramontanen Partei eifrig mitgearbeitet, ) nebenbei auch als Dillettant 
in Dichtkunst und Geschichte ein leichtes Formtalent bewährt und sodann 
die Diözese Speier sehr geschickt verwaltet. Als geborener Pfälzer kannte 
er dies überwiegend protestantische, alles Pfaffentum verabscheuende 
Volk genau und hütete sich, Unfrieden zu erregen. Eine stattliche Prälaten- 
gestalt, wohlbeleibt, mit funkelnden Augen, die zugleich Herrschsucht und 
Verschlagenheit verkündeten, wußte er seine Würde so wohl zu bewahren, 
daß er selbst während der abgeschmackten Umkleidungen beim Hochamte 
niemals lächerlich erschien; in Gesellschaft bewegte er sich mit der Frei- 
heit des lebensfrohen Weltmannes und verstand meisterhaft, das leichte 
Gespräch für diplomatische Berechnungen auszunutzen. Ein rechter Preuße 
ward er nie, weil er trotz der Gnade des Königs doch den protestantischen 
Geist dieses Staates herausfühlte; der Gottesstaat der alleinseligmachenden 
Kirche blieb sein Vaterland. Nach einer Unterredung mit Brühl, der 
von dem milden, grunddeutschen Sinne des Prälaten ganz entzückt war?), 
und nach einem peinlichen Besuche bei dem unwirschen alten Erzbischof 
erschien Geissel um Neujahr 1842 in Berlin, wo er mit hohen Ehren 
aufgenommen wurde und alsbald verlangte, den Huldigungseid in die 
Hand des Monarchen selbst abzulegen. Solche Förmlichkeiten hatte der 
alte König stets seinen Kommissaren überlassen, weil er es ungerecht fand, 
den katholischen Bischöfen, die an Würden und Ehren schon so viel mehr 
genossen als die Geistlichen der evangelischen Landeskirche, auch noch einen 
Vorzug zu gestatten, der keinem anderen Untertan der Krone eingeräumt 
wurde. Der Sohn aber gewährte die Bitte unbedenklich. 
In seinen Gesprächen mit dem Könige und dem Kultusminister wußte 
Geissel noch eine lange Reihe kirchlicher Anliegen wirksam vorzutragen. 
Er wünschte unter anderem unbeschränkte Herrschaft über das Priester- 
seminar und Entfernung der letzten Hermesianer von der rheinischen Hoch- 
schule; er verlangte sogar die Entlassung des Kurators der Bonner Universi- 
tät Rehfues, der während des Bischofsstreites die Eingriffe Drostes nach 
seiner Amtspflicht zurückgewiesen und nachher die Kirchenpolitik des alten 
Königs in einer verständigen, streng sachlich gehaltenen Flugschrift ver- 
teidigt hatte. **') Da Geissel diese Schrift doch nicht zu nennen wagte, 
*) S. o. III. 210. 
**) Brühls Bericht an den König, Koblenz, 8. Nov. 1841. 
***) S. o. IV. 718. 
 
	        
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